Anlässlich des Jahresempfangs des OAOEV am 12. Juni 2019 im Berliner Humboldt-Carré rückten die Länder des westlichen Balkans in den Mittelpunkt. 20 Jahre nach Ende der Kämpfe im Kosovo und der Begründung des Stabilitätspakts für Südosteuropa zogen verschiedene Gesprächsteilnehmer eine Bilanz des Reformprozesses in der Region. Die Keynote vor 200 Teilnehmern, darunter Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß, zehn Botschafter und viele Partner und Freunde des OAOEV, hielt der Premierminister von Nordmazedonien Zoran Zaev.
Zuvor tagten am Nachmittag im Humboldt-Carré die verschiedenen Gremien des OAOEV, besprachen die Strategie für das kommende Geschäftsjahr und bestimmten neue Mitglieder für Vorstand und Präsidium. Einstimmig neu in den Vorstand gewählt wurden Christian Bruch, Mitglied des Vorstands der Linde AG, Klaus Helmrich, Mitglied des Vorstands der Siemens AG, und Andreas Schierenbeck, Vorsitzender des Vorstands der Uniper SE. Neu zur stellvertretenden Vorsitzenden des OAOEV ernannt wurde Cathrina Claas-Mühlhäuser. Sie ist Vorsitzende des Aufsichtsrates des Familienunternehmens Claas und löst Carl Ludwig Theodor Wuppermann ab, der von den OAOEV-Mitgliedern mit viel Beifall in den „Unruhestand“ verabschiedet wurde. Geleitet wurden die Gremiensitzungen von OAOEV-Vorstand Hans-Ulrich Engel, der für den kurzfristig verhinderten Vorsitzenden Wolfgang Büchele eingesprungen war.
In seiner abendlichen Keynote beschrieb Premierminister Zoran Zaev die seit 2017 erreichten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformerfolge in Nordmazedonien und forderte die europäischen Regierungschefs dazu auf, noch in diesem Monat den Weg für EU-Beitrittsgespräche freizumachen. Seit dem EU-Gipfel in Thessaloniki, der allen Staaten des westlichen Balkans 2003 eine EU-Perspektive eröffnete, habe sein Land über 15 Jahre im „Wartesaal“ der Geschichte verbracht. „Wir sind jetzt politisch und institutionell bereit und erfüllen zu 100 Prozent die Vorbeitrittskriterien“. So habe seine Regierung den Kampf gegen Korruption vorangetrieben, das Rechtssystem, die Meinungsfreiheit und die demokratischen Institutionen insgesamt gestärkt und fühle sich vorbehaltlos den europäischen Werten verpflichtet. Diese Fortschritte hatte Ende Mai auch die EU-Kommission festgestellt und den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen empfohlen. Allerdings gibt es aktuell Bedenken gegen den Beginn der Beitrittsgespräche, unter anderem in den Niederlanden und Frankreich, aber auch in Deutschland.
„Eine Verschiebung des Beitrittsprozesses hat negative Auswirkungen auf die Stabilität in der Region“, warnte Zaev. Die Dynamik des Reformprozesses in seinem Land und die Umsetzung des Abkommens mit Griechenland könnten ins Stocken geraten und der Nationalismus in der Region angefacht werden. Erst im Juni 2018 hatte Zaev mit dem griechischen Premier Alexis Tsipras das historische Prespa-Abkommen unterzeichnet, das griechische Widerstände gegen eine EU- und NATO-Mitgliedschaft beseitigte. Die Verfassung wurde geändert und der Name Nordmazedonien als neue Landesbezeichnung festgeschrieben.
Es gehe darum, den „Sex-Appeal“ der EU zu erhalten, die versprochene EU-Perspektive mit Leben zu füllen und dadurch die Reformkräfte in der ganzen Region weiter zu motivieren. Darüber werde er auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel sprechen, die sich als Initiatorin des Berlin-Prozesses in besonderer Weise für die Region engagiert habe. Zaev, der eigens auf Einladung des OAOEV nach Deutschland gereist war, wurde von einer großen Delegation begleitet, der auch Vize-Premierminister Kocho Angjushev angehörte.
Für den OAOEV würdigte Hans-Ulrich Engel die erzielten Reformfortschritte in Nordmazedonien und kündigte die weitere entschiedene Unterstützung der deutschen Wirtschaft für den EU-Beitrittsprozess Nordmazedoniens und anderer Länder der Region an. „Sehr geehrter Herr Premierminister, der europäische Traum lebt. Er ist für Ihr Land lebendiger als jemals zuvor, dank Ihres Engagements“, sagte Engel. Gemeinsam mit seinem griechischen Amtskollegen sei es Zaev gelungen, die Diskussion um den Namen des Landes zu befrieden. Zudem habe er nach zuvor 18 Jahren Verhandlungen einen Freundschaftsvertrag mit Bulgarien erreicht. Wer diesen „Gordischen Knoten“ durchschlagen könne, der werde auch den „steinigen Weg“ zur EU-Mitgliedschaft zu einem erfolgreichen Ende bringen. Wirtschaftliche Erfolge im Zuge der Angleichung an EU-Standards seien in der Region bereits deutlich erkennbar. So seien bereits mehr als 900 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung im westlichen Balkan aktiv. Diese hätten dort bereits mehr als 110.000 Arbeitsplätze geschaffen.
Engel erinnerte in seiner Rede auch an den Abschluss des Stabilitätspakts für Südosteuropa vor 20 Jahren. Dieser wurde am 10. Juni 1999 in Köln begründet und sollte damals nach einem Jahrzehnt bewaffneter Konflikte eine neue Entwicklungsperspektive für den westlichen Balkan eröffnen. „Wir sind sehr stolz darauf, dass der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft damals Verantwortung übernommen hat. Er beteiligte sich im Rahmen des Stabilitätspaktes an der Gründung eines Business Advisory Council und koordinierte dessen Arbeit dann aktiv von Brüssel aus.“
In der abschließenden Diskussionsrunde, an der neben Zaev die Generalsekretärin des Regional Cooperation Council Majlinda Bregu, das OAOEV-Präsidiumsmitglied Thomas Kremer (Deutsche Telekom AG) und die Leiterin der Abteilung Westlicher Balkan im Auswärtigen Amt Sabine Stöhr teilnahmen, ging es um eine Bilanz von 20 Jahren Stabilitätspakt. Moderiert wurde das Panel von Florian Bieber, Direktor des Zentrums für Südosteuropäische Studien der Universität Graz. Bregu kritisierte in diesem Zusammenhang, dass in der EU immer noch von einer „Erweiterung Europas“ gesprochen werde. „Ich kann das Wort Erweiterung nicht mehr hören. Es geht nicht mehr um Erweiterung, sondern um die Vereinigung Europas, weil die EU ohne den Westlichen Balkan unvollständig ist“, so Bregu. Es sei jetzt wichtig, Wort zu halten und den Ländern den Weg in die EU zu öffnen. Bregu betonte außerdem die Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit: „Getrennt können die Länder nicht bestehen.“
Kremer thematisierte die zunehmende Abwanderung aus der Region. „Die Leute brauchen Arbeitsplätze, damit sie im Lande bleiben und wirtschaftliches Wachstum hervorrufen.“ Schlüssel zu einer Lebensperspektive in den Ländern sei die regionale Zusammenarbeit, so Stöhr. „Ich würde mir wünschen, dass die regionale Zusammenarbeit in fünf Jahren komplett aus der Region heraus gesteuert wird und Hilfe zur Konfliktbewältigung von außen nicht mehr benötigt wird.“
Andreas Metz
Leiter Presse und Kommunikation im OAOEV
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