
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen im Transit durch Russland haben den so genannten Mittleren Korridor als alternative Handelsroute zwischen China und der EU schlagartig in den Blickpunkt gerückt. Eine internationale Konferenz in Hamburg, die die örtliche Handelskammer gemeinsam mit dem Ost-Ausschuss organisierte, beweist, dass es den beteiligten Ländern mit einer Optimierung der neuen Logistikroute und einer intensiven Zusammenarbeit sehr ernst ist. Die EU hat dagegen weiterhin Mühe, mit der neuen Dynamik Schritt zu halten.
Großes Interesse in Hamburg: Die Konferenz „New Routes, New Markets. Global Gateway and potential markets along the ‘Middle Corridor’“ lockte am 20. Februar über 150 Interessierte in die Handelskammer Hamburg. Diese hatten das Glück, von zahlreichen internationalen Expertinnen und Experten Informationen aus erster Hand zu den geplanten Ausbauvorhaben und Investitionsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen entlang des Mittleren Korridors aus Richtung China über Zentralasien und das Kaspische Meer weiter durch den Südkaukasus Richtung Europa zu erhalten. Neben Panelisten aus Deutschland und der EU waren mit Aserbaidschan und Armenien, Kasachstan, Usbekistan und Kirgisistan die meisten Transitländer entlang der Route in Hamburg hochkarätig vertreten, worüber sich Stephan Schnabel, Vizepräsident der Hamburger Handelskammer, Liv Assmann als Vertreterin der Freien Hansestadt Hamburg sowie Prof. Peer Witten, Präsidiumsmitglied des Ost-Ausschusses, im Namen der Gastgeber außerordentlich freuten.
Der Mittlere Korridor funktioniert nur gemeinsam oder er funktioniert gar nicht – so könnte man die Botschaft des Tages zusammenfassen. Sollte es gelingen, die noch bestehenden infrastrukturellen Engpässe bei den Umladevorgängen von Straße und Schiene auf Containerschiffe und umgekehrt zu beseitigen sowie die Grenzabfertigung zwischen den beteiligten Ländern zu optimieren, dann sei die angestrebte Verdreifachung der Frachtmengen zwischen China und Europa von aktuell rund 3,7 Millionen Tonnen auf 11,4 Millionen Tonnen im Jahr 2030 durchaus erreichbar, so die Hoffnungen. Gemeinsames Ziel aller beteiligten Länder ist es, dafür die Frachtlaufzeiten zwischen China und der EU auf etwa 15-20 Tage zu halbieren. Sollte dies gelingen, entstünden im Vergleich zu den derzeitigen Laufzeiten von Containerschiffen durch den Suezkanal von 30 bis 55 Tagen greifbare Kostenvorteile.
„Der Mittlere Korridor ist für uns eine strategische Verbindung“, unterstrich Aserbaidschans Botschafter in Deutschland Nasimi Aghayev in seinem Eingangsreferat. Dazu gehöre auch eine strategische Partnerschaft mit China, das als Handelspartner für den Erfolg der Logistikroute eine hohe Bedeutung habe. Neben einem Beitrag zum globalen Wachstum erhofft sich Aserbaidschan aber insbesondere auch die Stärkung des lokalen Handels mit seinen Nachbarländern. Aghayev verwies dabei auch auf die große Bedeutung des laufenden Friedensprozesses zwischen Aserbaidschan und Armenien.
Diese Hoffnungen wurden kurz darauf durch den stellvertretenden armenischen Außenminister Vahan Kostanyan bestätigt, der ebenfalls nach Hamburg gereist war und von laufenden Gesprächen zwischen Armenien, Aserbaidschan und der Türkei zur Öffnung eines Transitkorridors berichtete. Kostanyan stellte das armenische Konzept „Crossroads for Peace“ vor. „Armenien ist sehr daran interessiert, Teil neuer Transitstrecken zu werden“, erklärte der Vizeminister. „Interkonnektivität mit unseren Nachbarn erhöht die Stabilität im Kaukasus.“
„Bottlenecks“ lautete ein Stichwort, das auf der Konferenz mit am häufigsten ausgesprochen wurde. Diese „Engstellen“ gibt es entlang des Mittleren Korridors noch in größerer Zahl, entweder bezogen auf die Infrastruktur oder bezogen auf unterschiedliche Vorschriften und politische Vorgaben. Dass auf beiden Feldern gerade viel passiert und bereits milliardenschwere Investitionen angeschoben sind, wurde auf der Konferenz gut herausgearbeitet. Aserbaidschan setzt hier insbesondere auf seinen neuen Hafen Alat bei Baku am Kaspischen Meer, dessen Freihandelszone Investoren besonders attraktive Bedingungen gewährt. Taleh Ziyadov, CEO des Port of Baku, sprach von „Fünf-Sterne-Bedingungen“, die man internationalen Unternehmen anbieten wolle und auch müsse, um die großen Entwicklungschancen des Mittleren Korridors zu nutzen. Zudem wolle man einen besonderen Schwerpunkt auf nachhaltige und umweltfreundliche Lösungen setzen und den Mittleren Korridor gleichzeitig zu einem „grünen Korridor“ entwickeln, um die Klimaschutzanforderungen der EU zu erfüllen.
Zu den am Hafen Baku entstehenden Projekten gehört auch ein nagelneuer Frachtflughafen, der bis Ende 2026 ebenfalls in Alat entstehen soll, um neben Umladevorgängen zwischen Schiff, Zug und Straße Spediteuren gleichzeitig auch kostengünstige Umlademöglichkeiten vom bzw. aufs Frachtflugzeug zu ermöglichen. Entwickelt wird der Flughafen, der bereits im Bau ist, von der privaten Silk Way West Airlines, deren deutscher CEO Wolfgang Meier das Projekt in Hamburg vorstellte und den großen Willen aller Länder der Region lobte, den Mittleren Korridor zum Erfolg zu führen. Ähnlich lobend äußerte sich Stephanie Meier-Sydow, die für das Hamburger Traditionsunternehmen Jebsen & Jessen Industrial Solutions an komplexen Transportaufgaben aus Europa Richtung Zentralasien arbeitet.
Auch in Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan wird an den „Bottelnecks“ des Mittleren Korridors intensiv gearbeitet. Dies thematisierte ein von Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms moderiertes Ministerpanel. Satzhan Ablaliev, stellvertretender Transportminister aus Kasachstan, informierte in Hamburg über den Ausbau des Hafens Aktau am Ostufer des Kaspischen Meers sowie über neue Zug- und Straßenverbindungen mit China, deren Entwicklung voranschreite. Absattar Syrgabaev, Minister für Transport und Kommunikation aus Kirgisistan, stellte das Projekt einer neuen Zugverbindung aus China über Kirgisistan nach Usbekistan vor. Bekzod Kholmatov, Direktor im usbekischen Transportministerium, verfolgt seinerseits das Ziel, die Grenzabfertigung mit Kasachstan weiter zu verbessern. Digitalisierung und Vereinheitlichung von Regeln sind dabei Stichworte, die sich generell alle Länder auf die Agenda geschrieben haben, um das Tempo bei Abfertigungen zu erhöhen.
Ein weiteres Thema im Rahmen der Konferenz waren Finanzierungsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen, die sich an den Großprojekten entlang des Mittleren Korridors beteiligen wollen. Darüber informierten Thomas Baum von der Euler Hermes AG sowie Ekaterina Galitsyna von der KfW IPEX Bank. Murad Gürmeriç, Senior Transport Engineer, Europe and Central Asia bei der Weltbank, erläuterte unter anderem Projekte in seinem Heimatland Türkei, wo ebenfalls intensiv an der Beseitigung von Engstellen entlang des Mittleren Korridors gearbeitet werde. Herzstück sei unter anderem eine Bahnverbindung über den Bosporus zwischen Asien und Europa, die von der Weltbank mitfinanziert werde.
Als Vertreter der EU war Peteris Ustubs, Direktor für den Mittleren Osten, Asien und Pazifik in der Generaldirektion für Internationale Partnerschaften (DG IntPa), nach Hamburg gereist. Ustubs erläuterte zunächst, dass auf EU-Ebene nicht von einem „Mittleren Korridor“, sondern vom „Transcaspian Transport-Corridor“ gesprochen werde. Auch für die EU habe dieser Korridor aber strategische Bedeutung, deshalb ziele die 2021 von der EU ins Leben gerufene und mit angeblich 300 Milliarden Euro unterlegte „Global Gateway Initiative“ zur besseren Anbindung an Europa auch auf Projekte in dieser Region. Ustubs konzentrierte sich anschließend auf Infrastrukturvorhaben, die die EU in Kasachstan und Usbekistan fördern wolle, wobei offen blieb, welche Projekte bereits konkret umgesetzt werden. Vieles, so räumte Ustubs ein, bewege sich aktuell noch auf Ebene von Diskussionen und Machbarkeitsstudien. Immerhin arbeite man an einer Webseite, über die sich insbesondere der Mittelstand dann gebündelt über Projekte und Fördermöglichkeiten informieren könne. Außerdem habe man für technische Abstimmungen zur Beschleunigung der Verkehre Mitte 2024 eine Trans-Caspian Transport Corridor Coordination Platform ins Leben gerufen.
Generell sehe die EU sich eher als Wegbereiter für den Privatsektor, der letztlich essenziell sei, für den Erfolg der Projekte. Ein wenig Hoffnung auf größere Entwicklungsschritte der EU machte Ustubs dem Hamburger Publikum dennoch: Noch im April 2025 soll das erste Gipfeltreffen der EU mit den fünf zentralasiatischen Ländern stattfinden. Vielleicht die Chance für eine neue Dynamik…
Andreas Metz
Leiter Public Affairs
Andreas Metz
Leiter Public Affairs
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