Beim Unternehmergespräch am 9. Dezember im Berliner Haus der Deutschen Wirtschaft präsentierte Armeniens Premierminister Nikol Paschinyan sein Land als aufstrebenden Wirtschaftsstandort im Südkaukasus. Rund 40 Unternehmen sowie eine hochrangige armenische Delegation, zu der auch Wirtschaftsminister Gevorg Papoyan gehörte, diskutierten Perspektiven in Schlüsselbereichen wie Logistik, Maschinenbau, IT/Hightech, Energie, Wasserwirtschaft, Infrastruktur und Agrarwirtschaft.
Ein zentrales Thema des Rundtisch-Gesprächs, zu der der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) eingeladen hatten, waren Paschinyans Einschätzungen zum Friedensprozess Armeniens mit Aserbaidschan. Diesen bezeichnete Moderator Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses, als „game changer“ für den Südkaukasus und darüber hinaus. „Angesichts der derzeitigen Krisen haben Sie der ganzen Welt ein Signal der Hoffnung gegeben, dass man langanhaltende Konflikte überwinden kann“, würdigte Harms das Engagement des Premierministers.
Am 8. August 2025 hatten sich Armenien und Aserbaidschan in Washington auf einen Fahrplan zur Normalisierung ihrer Beziehungen verständigt, wodurch ein mehr als drei Jahrzehnte dauernder Konflikt befriedet werden soll. Noch fehlen greifbare Ergebnisse wie die gegenseitige Öffnung der Grenze. Paschinyan zeigte sich aber zuversichtlich, dass erste Meilensteine wie die Öffnung von Grenzübergängen ab dem kommenden Frühjahr erreicht werden.
Seit Armeniens Unabhängigkeit, so der Premier, habe es „noch nie eine so stabile Situation“ im Verhältnis zwischen beiden Staaten gegeben. Seit Verkündung der Einigung sei bereits ein deutlicher Anstieg der Touristen auf über 2,2 Millionen verzeichnet worden – ein erster Hinweis darauf, wie sehr Frieden direkt wirtschaftliche Dynamik auslöst. Gleichzeitig betonte Paschinyan, dass dieser Frieden „tägliche Pflege“ brauche.
Besonders hervor hob Paschinyan die Pläne für die Öffnung der Grenzen zu Aserbaidschan und der Türkei und die Wiederherstellung alter Infrastrukturverbindungen. Im Mittelpunkt der Washingtoner Vereinbarung stand die so genannte Trump Route for International Peace and Prosperity (TRIPP). Dieses Projekt umfasst eine amerikanisch-armenische Kooperation zum Bau und zur Verwaltung eines Korridors vom aserbaidschanischen Kernland zu dessen Exklave Nachitschewan im Westen durch die armenische Sjunik-Region. Der ungefähr 43 Kilometer lange Korridor, soll sowohl Zug- und Straßenverkehr als auch Energie- und Kommunikationsleitungen umfassen.
Noch werden die Modalitäten zur Umsetzung des Plans verhandelt. Aserbaidschan hat aber bereits die erstmalige Öffnung seiner Grenze nach 30 Jahren angekündigt. Offene Grenzen Armeniens zu Aserbaidschan und zur Türkei würden den Transit entlang des Mittleren Korridors zwischen Zentralasien und Europa beschleunigen, was Armenien gerade auch für Logistikunternehmen interessant macht.
Dank tiefgreifender Wirtschaftsreformen habe sich Armenien zuletzt bereits sehr gut entwickelt, betonte Paschinyan. Demnach habe das Wachstum in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich bei 7,5 Prozent gelegen. Seit 2018 hätten sich auch durch das Zurückdrängen der Schattenwirtschaft die Staatseinnahmen mehr als verdoppelt und dies bei nur geringer Inflation. Der Premier verwies zudem auf die Erfolge beim Ausbau des Rechtsstaates. So habe sich Armenien im Korruptions-Wahrnehmungsindex von Transparency International von Platz 108 auf Rang 63 verbessert. Mit 40 internationalen Investitionsschutzabkommen biete Armenien ein vorhersehbares und stabil bewertetes wirtschaftliches Umfeld und sei über Handelsabkommen gleichermaßen mit Europa, der Eurasischen Union und asiatischen Ländern verbunden.
Besonders stark wachse der Hightech-Sektor – befeuert durch Programme zur Förderung von IT, Softwareentwicklung und KI. Herausragend sei aktuell ein 500-Millionen-Dollar-KI-Projekt in Kooperation mit Nvidia, flankiert durch ein beim Washington-Gipfel unterzeichnetes bilaterales Abkommen mit den USA zu Hochtechnologie.
Mehrere deutsche Unternehmensvertreter nutzten das Gespräch, um konkrete Fragen zu stellen – von grüner Energie und Logistik über Recycling und Kupferproduktion bis hin zu biometrischer Grenztechnologie, Digitalisierung und Agrarwirtschaft.
Der Premier bestätigte zudem, dass Armenien den Prozess zur Annäherung an die EU begonnen hat. Ziel sei es, europäische Standards vollständig zu übernehmen und Gesetze anzugleichen – unabhängig davon, ob und wie schnell ein Beitritt möglich sei werde. „Unser erstes Ziel ist es compliant mit den EU-Standards zu werden“, so Paschinyan. „Wenn wir das erreicht haben, gibt es zwei Varianten: Wenn wir als EU-Mitglied akzeptiert werden, ist das großartig; wenn nicht, dann würden wir auch in diesem Fall gewinnen“. Zugleich betonte Paschinyan, dass die Übernahme europäischer Politik nicht bedeute, in „Konflikt zu Russland“ zu geraten. „Das wollen wir nicht. Wir schauen in beide Richtungen.“ Armenien setze dabei auf eine Politik maximaler Transparenz und Diversifizierung. „Unabhängigkeit heißt die Abhängigkeit von wenigen in eine Abhängigkeit von vielen zu verwandeln“, erläuterte Paschinyan philosophisch. Der 50-Jährige hatte als Journalist 2018 die „Samtene Revolution“ in seinem Land angeführt und nach einem demokratischen Machtwechsel das Amt des Premierministers übernommen.
Zu den Wünschen der beteiligten Unternehmen gehörte eine schnellere Vergabe von Visa an armenische Staatsbürger. Hier kündigte die ebenfalls anwesende deutsche Botschafterin in Armenien, Claudia Busch, rasche Verbesserungen an. Ihr Ziel sei es die Wartezeit mit Hilfe eines externen Dienstleisters bereits im kommenden Jahr auf null zu reduzieren.
Das Unternehmergespräch zeigte ein Armenien im strategischen Umbruch: innenpolitisch stabil, außenpolitisch auf Frieden ausgerichtet und wirtschaftlich wachstumsstark. Mit der Aussicht auf offene Transitwege und tiefere wirtschaftliche Integration in die Region und Richtung EU entstehen für deutsche Unternehmen neue Chancen – in einer Phase, in der die geopolitische Bedeutung stabiler Transportkorridore weiter zunimmt.
Andreas Metz,
Leiter Public Affairs
Alena Akulich
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