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An der Wiege unserer Zivilisation

Fragile Konstruktion: Im Südkaukasus müssen die Interessen verschiedener geopolitischer Akteure ausbalanciert werden. Foto: Andreas Metz
27.05.2024
Gemeinsame Delegationsreise von Thüringen International und Ost-Ausschuss nach Armenien und Georgien

Vom 27. bis 31. Mai organisierten das Team „Thüringen International“ der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen und der Ost-Ausschuss in enger Zusammenarbeit mit Commit und den deutschen Wirtschaftsvereinigungen vor Ort eine gemeinsame Delegationsreise nach Armenien und Georgien, an der insgesamt 20 Personen teilnahmen. Beide Länder befinden sich im Südkaukasus in einem geopolitischen Spannungsfeld zwischen Russland im Norden und den islamischen Ländern Türkei, Iran und Aserbaidschan an den übrigen Grenzen und orientieren sich zunehmend Richtung Europäische Union. Die Offenheit für westliche Investoren und die Entwicklungspotenziale sind groß, Sicherheitsrisiken müssen allerdings mit bedacht werden.

Wer nach Armenien und Georgien reist, landet in einer spannenden Gegend, die auf den Besucher exotisch und zugleich vertraut wirkt. Die Region ist ein Schmelztiegel internationaler Einflüsse: Sie wird geprägt von den frühesten Hochkulturen der Menschheit in Babylon und Persien, von griechischer Mythologie, urchristlichen Wurzeln, russischen Einflüssen, sozialistischen Relikten bis hin zu modernistisch-westlicher Architektur. In Georgien am Schwarzen Meer wird das legendäre Land Kolchis vermutet, in das die Argonauten segelten, um das sagenumwobene Goldene Vlies zu rauben. Armenien war noch vor Georgien das erste Land, in dem im Jahr 301 das Christentum Staatsreligion wurde. Die Hauptstadt Eriwan konnte vor kurzem ihren 2800. Geburtstag feiern und ist damit älter als Rom. Wer den Weg vom Flughafen ins Stadtzentrum wählt oder die beeindruckende „Kaskade“, eine 302 Meter lange Treppenanlage mit zahlreichen Denkmälern und Ausstellungsflächen, den Hügel hinaufsteigt, der kann am Horizont den kleinen und den großen Ararat sehen. Auf diesem über 5000 Meter hohen Berg, der knapp auf türkischem Territorium liegt, soll Noahs Arche nach über einem Jahr Irrfahrt durch die Sintflut erstmals wieder festen Boden erreicht haben. Der Name Eriwan soll auf Noahs Ausruf „Erevaz“ zurückgehen, mit dem er die Taube aufforderte, nach Land zu suchen.

Als urchristliche Länder haben es Georgien (3,7 Millionen Einwohner) und Armenien (2,7 Millionen) bis heute nicht leicht, sich in einer Region mit großen, islamisch geprägten Nachbarn zu behaupten. Der Verbindung mit dem Zarenreich haben beide Länder einerseits Schutz gegen andere Invasoren und gleichzeitig eine jahrhundertelange russische bzw. sowjetische Dominanz zu verdanken, die erst 1991 mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Wiedererlangung der Unabhängigkeit endete. Das Verhältnis zu Russland bleibt bis heute ambivalent: Georgien hat die Mitgliedschaft in EU und NATO als Ziel in seine Verfassung aufgenommen. Die Bevölkerung befürwortet zu weit über 80 Prozent eine EU-Annäherung. Seit Ende 2023 besitzt das Land auch offiziell eine EU-Beitrittsperspektive und überall im Stadtgebiet der Hauptstadt Tiflis sind EU-Fahnen unübersehbar. Ein kürzlich verabschiedetes Gesetz jedoch, das nach russischem Vorbild zu einer Diskriminierung von Nicht-Regierungsorganisationen führen könnte, die finanzielle Mittel aus dem Westen erhalten, stellt diesen pro-europäischen Kurs aktuell in Frage und könnte eine EU-Mitgliedschaft dauerhaft blockieren.

Größere Demonstrationen gegen den Regierungskurs waren die Folge, die auch in den Tagen der Delegationsreise zu Straßensperrungen führten. Geändert wurde das Gesetz, nachdem es zwischenzeitlich durch die Präsidentin des Landes aufgehalten wurde, letztlich aber nicht mehr. Wie es die georgische Regierung, die im Verdacht steht, auf russischen Druck gehandelt zu haben, nun anwenden wird und was sein eigentlicher Zweck ist, bleibt abzuwarten.

Die Wirtschaftscommunity in Georgien jedenfalls fürchtet Rückschläge und eine sinkende Attraktivität des Standorts, der bislang zu den liberalsten Marktwirtschaften der Welt gehört. Mehrfach wiesen Gesprächspartner darauf hin, dass Georgien über Freihandelsabkommen mit den wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt einschließlich der EU, den USA und China verbunden ist und zu den am wenigsten bürokratisierten Ländern der Welt zählt. Ein Bild davon konnte sich die Delegation beim Besuch des so genannten Justizhauses machen, in dem In- und Ausländer im Zentrum von Tiflis ohne Termin viele Leistungen aus einer Hand bekommen und etwa in kürzester Zeit Unternehmen anmelden, Pässe beantragen und abholen, heiraten oder sich scheiden lassen können.    

Wirtschaftsaufschwung durch Zuwanderung

Die Nähe zu Russland prägt die Länder des südlichen Kaukasus auch in anderer Beziehung: Rund 50.000 (Armenien) bis 90.000 (Georgien) russische Zuwanderer sind seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine vor allem in den beiden Hauptstädten ansässig geworden, weil sie mit der Regierung Putin nicht einverstanden sind oder den Zugriff der russischen Armee fürchten. Der Exodus dieser teilweise recht wohlhabenden Klientel hat zu einem enormen Aufschwung vor allem des IT-Sektors geführt und auch 2023 zu Wachstumssprüngen von 8,7 Prozent (Armenien) bzw. 7,5 Prozent (Georgien) beigetragen. Auch wenn diese Impulse nun auslaufen, trug die Zuwanderung mit dazu bei, beide Hauptstädte deutlich zu modernisieren. Starke Impulse erhofft man sich – ebenfalls als Folge des russischen Krieges - von einer stärkeren Nutzung des Mittleren Korridors aus Richtung Zentralasien über das Kaspische Meer, den Südkaukasus und das Schwarze Meer bis in die EU. Eine neue Bahnlinie quer durch den Südkaukasus wurde gerade eingeweiht. Zudem will Georgien einen neuen Tiefseehafen in Anaklia bauen und sich über ein Unterseekabel durch das Schwarze Meer mit dem EU-Energiemarkt verbinden.

In Armenien sorgt neben der russischen Zuwanderung traditionell auch eine starke Diaspora für Internationalität: Beginnend im Ersten Weltkrieg und endend in den 1920er Jahren hatten die türkischen Herrscher einen Genozid an der armenischen Bevölkerung inszeniert. Bis zu 1,5 Millionen Armenier starben, viele weitere flohen ins Ausland. Die Kontakte zu den großen Communities in Frankreich, den USA oder Russland kommen dem Land heute zugute. Auslandsüberweisungen und Investitionen stützen die Wirtschaft.

Auch wenn ein Stadt-Land-Gefälle in Armenien unübersehbar ist und viele ländliche Regionen noch auf Entwicklung warten, trifft die Einschätzung des armenischen Wirtschaftsministers Gevorg Papoyan ins Schwarze: Papoyan betonte im Gespräch mit der Wirtschaftsdelegation, dass Armenien moderner sei als so manches südosteuropäische Land, das eine Aufnahmeperspektive in die EU besitzt.

Auch Armenien arbeitet an einer Vertiefung seiner Beziehungen mit der Europäischen Union, auch wenn das Wort „Beitritt“, anders als in Georgien, bislang nicht offiziell auf der Agenda steht, zumal Armenien im Gegensatz zu Georgien Mitglied in der von Moskau aus verwalteten Eurasischen Wirtschaftsunion ist. Von Russland ist das Land jedoch nach dem Verlust der mehrheitlich von Armeniern bewohnten aber völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörenden Exklave Bergkarabach tief enttäuscht. Diese musste im September 2023 trotz russischer Truppenpräsenz nach aserbaidschanischen Angriffen überstürzt geräumt werden, rund 100.000 Menschen flüchteten ins armenische Kernland. Die Regierung in Eriwan hofft nun auf ein stabiles Friedensabkommen mit dem militärisch stärkeren Nachbarn und fährt dazu aktuell einen sehr kompromissbereiten Kurs. Dieser wird in Armenien gerade von den Binnenvertriebenen abgelehnt, wie Großdemonstrationen zeigten, die zeitgleich zur Delegationsreise im Stadtzentrum stattfanden. Anstelle von Russland setzt die armenische Regierung nun auf die EU als Vermittler und Unterstützer. Die Erwartungen an ein stärkeres Engagement von Brüssel sind groß. Ob die EU aber tatsächlich zu mehr Sicherheit beitragen kann, bleibt abzuwarten.

Wirtschaftlich gibt es bereits seit 2021 ein Abkommen über eine umfassende und verstärkte Partnerschaft zwischen Armenien und der EU. Dessen Qualität lässt sich aber nicht mit den Beziehungen zwischen Georgien und der EU vergleichen. Während Georgier längst visafreien Zugang in die EU genießen, kämpfen Armenier hier mit besonderen Widrigkeiten, wie Bildungsministerin Zhanna Andreasyan im Gespräch mit der Delegation berichtete. Kandidaten müssten aktuell Monate auf einen Termin in der deutschen Botschaft in Eriwan warten, um überhaupt ein Visum beantragen zu können. Dass der Austausch zwischen Deutschland und Armenien dringend intensiviert werden sollte, zeigt sich an einem neuen Gesetz zur Dualen Aus- und Weiterbildung, das mit deutscher Unterstützung gerade vom armenischen Parlament angenommen wurde. Der Fachkräftemangel ist auch in Armenien bereits zu spüren. Gerne würde man daher von deutschen Erfahrungen profitieren und mehr Studierende zur Weiterbildung nach Deutschland schicken.

Ebenfalls bedauert wurde, dass sich der Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD völlig aus Armenien zurückziehen wird. Hoffnung wiederum macht eine andere Entwicklung: Das bisherige Goethe-Zentrum in Eriwan wird in Kürze als eigenständiges Institut neu aufgestellt, wie dessen Direktor Jan-Tage Kühling der Delegation im Briefing mitteilte.

Intensiver Austausch mit der lokalen Wirtschaft

Kühling gehörte neben Erik Tintrup und Sarah Zielonka von den deutschen Botschaften in Eriwan und Tiflis, Ricardo Giucci vom German Economic Team Georgien und Svenya Weyrauch von der GIZ zu den deutschen Vertreterinnen und Vertretern, die vor Ort in Briefings über die Wirtschaftsentwicklung im Südkaukasus informierten. Zudem hatten die Mitglieder der Delegation intensiv Gelegenheit, sich im Gespräch mit den beiden Investitionsagenturen der Länder, bei individuell arrangierten Treffen mit der lokalen Wirtschaft und Behörden sowie bei zwei Unternehmensbörsen über Geschäftsmöglichkeiten zu informieren und Projektpartner zu identifizieren.

Höhepunkte der Delegationsreise waren Exkursionen zur georgischen Brauerei Zedazeni nahe Mtskheta, zur Firma Basalt Fibers im Gewerbebiet Rustavi bei Tiflis, wo Basaltgestein zu klimafreundlichen Baustoffen veredelt wird, sowie eine zehnstündige Fahrt quer durch den Südkaukasus von Eriwan nach Tiflis mit einem Stopp am armenischen Sewan-See.

Vor Ort wurde die Delegation, die je zur Hälfte aus Thüringer Unternehmen und Mitgliedsunternehmen des Ost-Ausschusses bestand, sehr gut durch den Deutsche Wirtschaftsverband in Armenien und die Deutsche Wirtschaftsvereinigung in Georgien betreut. Beide Organisationen sind für deutsche Unternehmen vor Ort generell die besten Ansprechpartner. Ein besonderer Dank gilt der Schneider Group für die finanzielle Unterstützung der Reise und natürlich den Kolleginnen und Kollegen von Thüringen International für die vorzügliche Zusammenarbeit.
       
Andreas Metz,
Leiter Public Affairs im Ost-Ausschuss
 

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