Russland ist weniger eine Black-Box, als viele denken. Trotz zunehmend autoritärer und repressiver Strukturen veröffentlicht die russische Bürokratie noch Datenmaterial, aus dem sich ein recht umfassendes Bild der Entwicklung des Landes herauslesen lässt. Diese Kernbotschaft vermittelte Jekaterina Schulmann bei Ihrem Vortrag am 10. Juli in der Ost-Ausschuss-Geschäftsstelle.
Rund 20 Personen im Saal und 70 Interessierte, die online zugeschaltet waren, nutzten die Gelegenheit, die Forschungsergebnisse der prominenten russischen Politikwissenschaftlerin und Publizistin live zu verfolgen und anschließend ins Gespräch zu kommen. Schulmann lebt seit April 2022 überwiegend in Deutschland, ist Richard von Weizsäcker Fellow bei der Robert Bosch Academy sowie Nonresident Scholar am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin und betreibt einen Youtube-Kanal mit 1,2 Million Abonnenten, die sie regelmäßig über Geschehnisse in Russland informiert. Moderiert wurde die Veranstaltung von Seiten des Ost-Ausschusses von Regionaldirektorin Christiane Schuchart und dem Leiter für Public Affairs Andreas Metz.
Schulmann hat ihre Karriere als Mitarbeiterin in der Russischen Staatsduma begonnen, kennt den russischen Bürokratieapparat wie nur wenige andere und versteht sich darauf, Statistiken zur Preisentwicklung von Lebensmitteln, demographisches Datenmaterial und andere offizielle Quellen zu Hinweisen zum Zustand der russischen Gesellschaft zu destillieren. Einerseits folge das russische Volk nach Ihrer Einschätzung zwar mehrheitlich loyal den Vorgaben des Präsidenten, auch mangels Alternativen, dies bedeute aber nicht, dass es nicht gleichzeitig eine starke Friedenssehnsucht im Land gebe.
Das System vermeide in Bezug auf den Krieg in der Ukraine und angesichts des massiven Stimmungseinbruchs im Zuge der ersten Teilmobilisierung 2022 bewusst zu große Lasten für die Bevölkerung. Gleichzeitig sei anhand von Daten erkennbar, dass die finanziellen Spielräume des Landes angesichts der ausufernden Kosten des Krieges und immer geringerer personeller Ressourcen geringer würden. Die jüngst beschlossenen Erhöhungen der Unternehmenssteuern und die Anhebung der Einkommenssteuern um fünf Prozentpunkte seien eine deutliche Zäsur. Auch der demografische Wandel sei ein Faktor, der auf Dauer die Kriegsführung beeinflussen und zu einer Schwächung der Wirtschaft führen könne. „Kriege enden nicht mit dem letzten Rubel, der ausgegeben wird“, ermutigte Schulmann dazu, durchaus auf Veränderungen in Russland und unter den russischen Eliten zu hoffen.
Wer den Vortrag von Jekaterina Schulmann verpasst hat oder am dazugehörigen Datenmaterial interessiert ist, der findet die Präsentation unter diesem Link.
Andreas Metz,
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
Dr. Christiane Schuchart
Regionaldirektorin Russland
T. +49 30 206167-123
C.Schuchart@oa-ev.de
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