Es weht ein frischer Wind durch die montenegrinische Politik. Davon konnten sich die 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Ost-Ausschuss-Delegationsreise nach Podgorica ein Bild machen. Bei Treffen unter anderen mit dem 37-jährigen Präsidenten Jakov Milatovic und dem 36-jährigen Premierminister Milojko Spajic, die mit ihrer gemeinsamen Bewegung „Europa Jetzt“ die Wahlen 2023 gewonnen hatten, wurde ein „neues Momentum“ für Wirtschaftsreformen in Montenegro und einen schnellstmöglichen Beitritt zur EU deutlich.
Sowohl Präsident Milatovic als auch Premier Spajic kamen 2020 nach dem Regierungswechsel in Montenegro als Minister in die Regierung des damaligen Premierministers Zdravko Krivokapic und machten sich durch eine ambitionierte Steuerreform, die zu einem deutlichen Anstieg des Mindestlohns und der Renten führte, einen Namen. Dem Regierungswechsel vorangegangen waren die historisch zu nennende Parlamentswahl im Sommer 2020, bei der die Partei des bis dahin fast 30 Jahre in verschiedenen Ämtern regierenden Milo Djukanovic die Mehrheit verlor. Milatovic und Spajic verfügen über eine reiche Erfahrung in internationalen Finanzinstitutionen. So hat Milatovic unter anderem bei der Deutschen Bank in Frankfurt und der European Bank for Reconstruction and Development (EBRD) in London gearbeitet. Premier Spajić spricht Japanisch und Chinesisch und arbeitete unter anderem für Goldman Sachs und für einen Wagniskapital-Fonds in Singapur.
Spajic skizzierte im Gespräch mit der Delegation für sein 635.000-Einwohner-Land denn auch die Vision eines „Singapurs an der Adria“, mit hervorragenden Beziehungen zu allen Nachbarländern, wirtschaftlich effizient und investorenfreundlich durch niedrige Steuern und transparente Strukturen und gleichzeitig den Werten und Regeln der EU verpflichtet. Als größte Aufgaben im EU-Beitrittsprozess gelten die Kapitel mit Bezug zu Rechtssicherheit und Transparenz. Mit Stärkung der Rechtssicherheit und einer bedingungslosen Korruptionsbekämpfung hofft Premier Spajic einen wichtigen Schritt voranzukommen und damit gleichzeitig sein Land nachhaltig für neue Investoren zu empfehlen.
Unter allen EU-Beitrittskandidaten ist Montenegro im Prozess am weitesten vorangekommen, alle 33 zu verhandelnde Kapitel sind eröffnet und doch fehlte in den vergangenen Jahren sowohl in Montenegro selbst als auch in der EU das Momentum für entscheidende Fortschritte. Dieses könnte nun mit den Veränderungen in Podgorica und einem neuen Erweiterungswillen in Brüssel gekommen sein. Das wurde auch im Gespräch mit dem deutschen Botschafter in Montenegro Peter Felten deutlich. Dieser hatte die Ost-Ausschuss-Delegation am Morgen des 21. Februar mit einem Briefing auf die anschließenden Gespräche vorbereitet und begleitete die Delegation, die vom Sprecher des Länderarbeitskreises Südosteuropa, Thomas Narbeshuber, Vize-Präsident der BASF Gruppe für Mittel- und Südosteuropa geleitet wurde, zu allen Gesprächen. Neben Premier und Präsident gab es auch Treffen mit der montenegrinischen Handelskammer, mit dem für Wirtschaft zuständigen Vizepremierminister Nik Gjeloshaj, dem Minister für Energie und Bergbau Sasa Mujovic und dem Minister für Verkehr und Schifffahrt Filip Radulovic.
Zu den hierzulande wenig bekannten Vorteilen Montenegros gehört, dass das Land seit vielen Jahren den Euro als Zahlungsmittel nutzt und daher Währungsrisiken entfallen. In Sachen Meinungsfreiheit und Medienvielfalt erreicht das Land Bestnoten in der Region. Zudem hat es bis heute als Beitrittskandidat und NATO-Mitglied alle EU-Sanktionen gegen Russland umgesetzt. Bis vor fünf Jahren steuerten russische Touristen allein 30 Prozent der Einnahmen aus dem wichtigen Tourismussektor bei und erwarben auch zahlreiche Immobilien an der Adriaküste. Diese Abhängigkeit sei inzwischen nachhaltig überwunden worden, so wurde in den Gesprächen betont. Ins Land kämen nun vermehrt Urlauber etwa aus der Türkei und den zentralasiatischen Staaten. Um deutsche Touristen noch einfacher ins Land holen zu können, sei der Ausbau der Infrastruktur entscheidend. Anstelle von bis zu 30 Direktflügen aus Richtung Russland, die es bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges täglich gegeben habe, würde man in Montenegro gerne 30 Direktflüge von verschiedenen deutschen Flughäfen sehen. Aktuell liefen dazu auch erste Ausschreibungen, um die beiden Flughäfen in Podgorica und Tivat zu modernisieren.
Erhebliche Mittel will die neue Regierung zudem in die Modernisierung des mit 250 Kilometer sehr kleinen Schienennetzes und in die Fertigstellung einer Autobahn von der Adria nach Serbien investieren. Dieses Projekt stand ursprünglich unter keinem guten Stern: Ein erster 40 Kilometer langer Bauabschnitt durch das Hochgebirge im Norden des Landes wurde von einem chinesischen Staatsunternehmen gebaut. Der dafür nötige Milliarden-Kredit aus China brachte das kleine Balkanland an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Inzwischen sei ein großer Teil des Kredites getilgt, der Rest umgeschuldet. Weitere Bauabschnitte, die zur Fertigstellung notwendig sind, will die neue Regierung am liebsten mit Hilfe aus Brüssel und in Kooperation mit der EBRD bauen. In einigen Jahren soll dann neben der bestehenden eingleisigen Bahnverbindung auch eine durchgehende Autobahnverbindung vom montenegrinischen Adria-Hafen Bar bis nach Belgrad bestehen. Diese Infrastruktur könnte auch für den Frachtverkehr stärker genutzt und dann auch für deutsche Logistikkonzerne interessanter werden. Die großen Schwierigkeiten für die Pläne liegen im rauen Gelände: Der Name Montenegro stammt aus venezianischer Zeit und heißt nicht von ungefähr übersetzt „Schwarze Berge“. Diese bis 2500 Meter hohen, kargen Gebirgszüge drängen sich mit Ausnahme der Ebene von Podgorica von Norden des Landes bis an die Adriaküste, wo sie spektakulär ins Meer abfallen – ein Traum für Touristiker, aber gleichzeitig ein Alptraum für Logistiker.
Neben des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur will die neue Regierung Montenegro zum Nettoexporteur von Grüner Energie entwickeln und dafür neben einem ambitionierten Solarprogramm, dem Ausbau der Wasserkraft und die Realisierung eines größeren Windkraftprojektes unterstützen. Letzteres wurde u.a. im Gespräch mit Vize-Premier Gjeloshaj deutlich. Zudem sei man an Projekten für die Nutzung von Biomasse und Geothermie sehr interessiert, wie Energieminister Mujovic erklärte.
Eine erste Voraussetzung für die Energie-Exportambitionen des Landes ist bereits geschaffen worden: ein 455-Kilometer langes Unterseekabel, das von Montenegro aus nach Süditalien führt. Die Kapazitäten dieser Verbindung könnten weiter ausgebaut werden und so perspektivisch eine Chance sein, Europa mit grünem Strom „Made in Montenegro“ zu versorgen.
Elementare Voraussetzung einer wirtschaftspolitischen Entwicklung eines jeden Landes – so auch die von Montenegro – ist das Vorhandensein und die stetige Weiterbildung von Fachkräften. Dies wurde in allen Gesprächen mehr als deutlich. Sowohl die Umsetzung von Unternehmensprojekten als auch die Realisierung der Regierungsstrategien basieren auf qualifiziertem Fachpersonal. Ob bei der Installation neuer Windkraftanlagen oder als Spezialisten für Solartechnik, ob in den Branchen IT, Telekommunikation, Logistik oder im Unternehmensmanagement. Dafür braucht es einen stetigen Dialog aller Stakeholder. Mit dem Stipendienprogramm der Deutschen Wirtschaft, das eine gemeinsame Initiative des Ost-Ausschusses und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist, bietet der OA eine Plattform für praxisorientierte Weiterbildungen junger Nachwuchskräfte aus den Ländern des Westlichen Balkans und Kroatien für ihre Heimatmärkte. Damit trägt die deutsche Wirtschaft elementar zur ökonomischen und politischen Stabilität in der Region bei.
Am Abend des 21. Februar ging die erste OA-Delegationsreise seit fünf Jahren mit einem Empfang zu Ende, den Botschafter Felten für die Delegation ausrichtete. An ihm nahmen weitere Regierungsvertreter und Mitglieder des Deutsch-Montenegrinischen Wirtschaftsclubs teil. Alle Mitglieder der Delegation, zu der auch Ost-Ausschuss Regionaldirektorin Anja Quiring und die Programmdirektorin des Stipendienprogramms der Deutschen Wirtschaft für die Länder des Westlichen Balkans Antje Müller gehörten, zeigten sich am zum Abschluss sehr angetan von der positiven und engagierten Stimmung, die in den Gesprächen vermittelt wurden.
Andreas Metz
Leiter Public Affairs im Ost-Ausschuss
Andreas Metz
Leiter Public Affairs
T. +49 30 206167-120
A.Metz@oa-ev.de
Kontakt Newsletter