Kaum etwas spiegelt das Selbstbewusstsein Aserbaidschans besser wider als seine schillernde Hauptstadt Baku am Kaspischen Meer. Beleuchtete Prachtstraßen rund um die historische Altstadt, bunt strahlende, futuristisch anmutende Hochhäuser und die zahlreichen neu errichteten Gebäude, sollen ähnlich wie in Zentralasien auf der gegenüberliegenden Seite des Kaspischen Meeres zum Nationalbewusstsein beitragen.
Die international kritisierte Krieg um Karabach im Herbst 2023, die wachsende internationale Beachtung des Landes in Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine und die Gastgeberrolle für den Klimagipfel COP29 im Herbst 2024 geben diesem Selbstbewusstsein neue Nahrung. Insbesondere die Energiereserven des Kaukasus-Landes, aber auch dessen Lage am so genannten „Mittleren Korridor“, der die nördliche Transitroute zwischen Asien und Europa durch Russland zumindest teilweise ersetzen könnte, machen das Land zu einem Partner Europas. Höchste EU-Repräsentanten wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wurden dazu schon in Baku vorstellig.
Das Land weckt auch das Interesse der deutschen Wirtschaft. Ende Februar besuchte eine rund 50-köpfige Delegation von Ost-Ausschuss und AHK Aserbaidschan die Hauptstadt am Kaspischen Meer, um Geschäftsmöglichkeiten im Land zu erkunden. Unterstützt wurde die Reise, an der auch Vertreter von Bundeswirtschaftsministerium und Auswärtigem Amt teilnahmen, von der deutschen Botschaft in Baku und der aserbaidschanischen Botschaft in Berlin. Auf der Agenda standen sowohl politische Termine mit Präsident Ilham Alijew und mehreren Ministern als auch die Besichtigung des Frachtflughafens in Baku, des Hafens und der Freien Wirtschaftszone Alat am Kaspischen Meer, die ein Transporthub am Mittleren Korridor werden sollen.
Zum Auftakt des Besuchsprogramms gaben deutsche Botschaft und AHK in einem Briefing einen aktuellen Überblick zur Lage in Aserbaidschan, das als Nachbar Russlands und des Irans sowohl vom Krieg in der Ukraine als auch von der angespannten Lage im Nahen Osten betroffen ist. Wichtige Themen waren die jüngsten Präsidentschaftswahlen, bei denen Amtsinhaber Alijew im Amt bestätigt wurde, die Bedeutung der COP29 für das Land und die Friedensverhandlungen mit Nachbar Armenien. Hier und in allen weiteren Gesprächen wurde von deutscher Seite immer wieder betont, dass ein stabiler Frieden grundlegende Voraussetzung für das Vertrauen ausländischer Investoren ist. Zeitgleich mit der Delegationsreise trafen sich in Berlin die Außenminister beider Länder auf Vermittlung der Bundesregierung zu Verhandlungen.
Diskussionen um die Rolle der aserbaidschanischen Delegation im Europarat, kritische Berichte über die Situation von Opposition und Medien sowie die Situation im Nachgang des Kriegs um Karabach führten in letzter Zeit zu politischen Spannungen. Dabei können europäische Unternehmen wichtige Partner für Aserbaidschan als Investor und Absatzmarkt sein, auch um seine Abhängigkeit von fossilen Energien zu überwinden. Insbesondere Deutschland wird unverändert als starkes, leistungsfähiges Land und als wichtiger Partner wahrgenommen. Umgekehrt hat auch die Bundesregierung großes Interesse an einer Anbindung des Landes an Europa.
Rund die Hälfte der aserbaidschanischen Gasexporte geht heute in die EU, insbesondere nach Italien. Gerade Deutschland wird als Partner für die aserbaidschanische Energiewende gesucht. Denn wegen der langfristig unsicheren Aussichten für fossile Energieexporte nach Europa fehlen private Investoren für neue Gaspipelines. Das wind- und sonnenreiche Aserbaidschan setzt daher perspektivisch auf Erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff. Die nächste Weltklimakonferenz COP29 in Baku soll dieser Entwicklung einen weiteren Schub geben.
Die Transformation des rohstoffreichen Landes ist eine große Herausforderung. Um die Abhängigkeit vom fossilen Sektor zur überwinden, muss die wirtschaftliche Dynamik auch in anderen Wirtschaftszweigen entwickelt werden. Dazu zählt unter anderem der Bereich der Erneuerbaren Energien. Die Strategie der Diversifizierung der Wirtschaft genießt vor diesem Hintergrund große Priorität. Die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze spielt dabei eine große Rolle, um Arbeitskräfte im Land zu halten. Dazu kommt, dass rund ein Drittel des Haushalts in den Wiederaufbau der Region Karabach und das Militär fließen. Erwartungen an die deutsche Wirtschaft hinsichtlich Investitionen und Arbeitsplätzen sind groß, möglicherweise zu groß für ein Land von der Größe und Wirtschaftskraft Aserbaidschans.
Einige der Reformen, die Baku seit dem Ölpreiseinbruch 2018 bei Steuern, Mittelstandsförderung oder der Einrichtung von thematischen Wirtschaftszonen und Agro-Parks eingeleitet hat, gehen nach Einschätzung von Beobachtern in die richtige Richtung. Doch noch ist die Öl- und Gasförderung der dominierende Sektor und das Wachstum angesichts des Nachholbedarfs nicht ausreichend.
Das große Interesse Aserbaidschans an der Zusammenarbeit mit Deutschland zeigte sich in den Gesprächen mit Präsident Alijew und den Ministern. „Deutschland ist wegen seines technologisch starken KMU-Sektors ein wichtiger Partner für die Transformation“, sagte Wirtschaftsminister Michail Jabbarov, der die gesamte deutsche Delegation zu einem ausführlichen Meinungsaustausch empfing. Er betonte die Bedeutung, die sein Land den Investitionen in einen Transporthub am Kaspischen Meer und der Umstellung der Energieexporte etwa auf grünen Wasserstoff und Strom beimesse. Über die Stromübertragung gebe es bereits Verträge mit Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Zentralasien. Das Land habe zudem Handelsabkommen mit anderen GUS-Staaten und der Türkei geschlossen. Die Tatsache, dass sowohl der nördliche als auch der südliche Nachbar mit Sanktionen belegt seien, erfordere aber besondere Aufmerksamkeit im Handel.
In der anschließenden Diskussion zeigten die deutschen Unternehmen insbesondere Interesse am Ausbau der Energiezusammenarbeit im Bereich Gasexport und Erneuerbare Energien, an der Finanzierung von Projekten, an der Entwicklung der Transportinfrastruktur, an der Kooperation im Agrarsektor und an Joint Ventures mit aserbaidschanischen Partnern in Logistik und Industrie.
Vertieft wurde der Austausch über Kooperationsmöglichkeiten bei separaten Gesprächen mit Energieminister Parviz Shahbazov, dem Minister für Verkehr, Kommunikation und Hochtechnologie Rashad Nabi Oghlu Nabiyev und Landwirtschaftsminister Majnun Mammadov. „Wir wollen ein wichtiger grüner Energielieferant für Europa werden“, unterstrich Energieminister Shahbazov. Bis 2027 sei dazu die Errichtung von Solarkraftwerken und Windparks geplant. Mit Rumänien, Ungarn und Georgien gebe es das gemeinsame Projekt eines grünen Energiekorridors für Strom und Wasserstoff.
Die deutschen Unternehmensvertreter boten dazu Unterstützung etwa bei der Etablierung von Wasserstoff-Wertschöpfungsketten, Energieeffizienzprojekten, der Errichtung von Windparks, der Produktion von Solaranlagen in Aserbaidschan und der Nutzung grüner Energie etwa in der Zementindustrie an. Das Potenzial für Erneuerbare Energien ist groß und es gibt erste Pilotprojekte, aber die niedrige Einspeisevergütung ist unattraktiv für Investoren. Zugleich gibt es auch Verhandlungen über die Lieferung zusätzlicher Gasmengen durch den aserbaidschanischen Energiekonzern SOCAR nach Europa. Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms regte an, anlässlich der COP29 eine deutsch-aserbaidschanische Arbeitsgruppe zur Grünen Transformation einzurichten. In jedem Fall sei das Follow-Up des Besuchs wichtig: „Deutsche Unternehmen sind seriös, denken aber zu viel nach und kommen oft zu spät“, sagte Minister Shahbazov.
Im Gespräch mit Transportminister Nabiyev standen vor allem deutsche Zulieferungen für den Ausbau der Frachtflughäfen und Finanzierungsfragen im Mittelpunkt. Dabei machte der Minister deutlich, dass Aserbaidschan nicht nur an Gütern aus Deutschland interessiert ist, sondern auch am Know-how-Transfer. Das Land setzt beim Ausbau des Mittleren Korridors auf die Kooperation mit den Nachbarn Georgien und Kasachstan. Der Transportsektor sei für sein Land ein „Mittel zur Transformation“, so der Minister.
Im Rahmen des Delegationsbesuchs bei Agrarminister Mammadov standen die Modernisierung der Landwirtschaft, eine höhere Selbstversorgung und Zertifizierungen für Produktion und Exporte auf dem Programm: Aserbaidschan verfügt über großes Entwicklungspotenzial im traditionell wichtigen Agrarsektor und will in diesem Bereich wachsen – wofür modernes Know-how deutscher Anbieter eine zentrale Rolle spielen kann.
Flankiert wurden die politischen Gespräche von einem Besichtigungsprogramm, das vor allem der Transportinfrastruktur gewidmet war. So besuchte die Delegation den Frachtfluganbieter Silk Way West Airlines am Flughafen Baku, der hier Luftfrachtdienste für die deutsche Exportindustrie zwischen Europa und Asien anbietet. Die Flüge starten in Frankfurt-Hahn und gehen über das Drehkreuz Baku zu Zielen im asiatisch-pazifischen Raum wie Indien, Singapur oder Japan. „Die Frachtströme zwischen Europa und Asien haben ein großes Entwicklungspotenzial im Hinblick auf die Zunahme des elektronischen Handels“, sagt Wolfgang Meier, der deutsche CEO und Präsident von Silk Way West Airlines. „Leider ist die Anzahl der Flüge aufgrund des Verkehrsabkommens begrenzt. Wir würden gerne mehr fliegen und hoffen daher auf erweiterte Flugrechte in der Zukunft.“ Die Delegation informierte sich auch über den Bau eines neuen Frachtflughafens im Süden von Baku, den die Silk Way Group baut und ab 2026 betreiben wird.
Der Weg zum regionalen Transporthub ist gestartet. Bis zur Verwirklichung ist aber noch eine gemeinsame Kraftanstrengung notwendig. Dies verdeutlichten die Besuche im Hafen Baku, der immerhin schon seit dem 16. Jahrhundert existiert, und der unmittelbar angrenzenden Freien Wirtschaftszone Alat (AFEZ). Zum Hafen Baku zählt ein 400 Hektar großes Gelände, zu dem ein Fähr- und Containerhafen gehört – genug Platz und Potential, um umgelenkte Warenströme aufzunehmen. Mit der Fertigstellung der ersten Ausbaustufe des Hafens im Jahr 2018 stieg die Kapazität auf 15 Millionen Tonnen Fracht und 100.000 TEU-Äquivalente. Nach der Umsetzung der zweiten Entwicklungsstufe soll die jährliche Umschlagskapazität auf 25 Millionen Tonnen und 500.000 TEU-Container erhöht werden. Die Entwicklung des Mittleren Korridors ist allerdings komplex und von vielen Faktoren abhängig. Eine koordinierte Entwicklung der Transportroute gemeinsam mit den Anrainern ist daher von großer Bedeutung.
„Wir wollen ein 5 Sterne-Hub werden“, sagt CEO Taleh Mahammad Ziyadov selbstbewusst. „Wir wollen kein Service-Hub für China werden, sondern ein zentraler Hub für Eurasien.“ Immerhin gebe es im Umkreis von 1.000 Kilometern 400 Millionen Menschen. Dabei will der Port of Baku der erste grüne Hafen in der Region werden. Für den Ausbau des Hafens stehen weitere Entwicklungsflächen bereit. Auch der neue Frachtflughafen, der 2026 in Betrieb gehen soll, ein Dünger- und ein Getreide-Terminal gehören dazu.
Die angrenzende Freie Wirtschaftszone Alat (AFEZ) soll weiteren Verkehr im Hafen generieren und zur Diversifizierung der aserbaidschanischen Wirtschaft beitragen. Die AFEZ mit ihren insgesamt 858 Hektar verfügbarer Fläche lockt potenzielle Investoren mit einer eigenen Gesetzgebung und Zoll- und Steuerbefreiungen für Unternehmen und Mitarbeiter. Damit sollen exportorientierte Unternehmen mit großer Wertschöpfungstiefe angesiedelt werden. Mindestens drei Viertel der Produktion müssen für die Ausfuhr vorgesehen sein. Entscheidend dürfte für Investoren aber letztlich sein, dass notwendige Rohstoffe und Vorprodukte verfügbar sind. Das Areal bietet jedenfalls noch genügend Platz für Ideen, Projekte und Ausbaustufen.
Christian Himmighoffen
Leiter Presse und Kommunikation
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