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Minsk Forum sucht Wege aus der Krise

Proteste in Minsk; Foto: Jana Shnipelson, Unsplash
03.12.2020
Ein reformiertes Belarus könnte in vielen Sektoren ein wichtiger Partner für die EU und Deutschland sein

Seit 1997 versucht das Minsk Forum Brücken innerhalb der belarussischen Gesellschaft und aus der ehemaligen Sowjetrepublik heraus zu den Nachbarstaaten zu bauen. Die diesjährige 18. Ausgabe beschäftigte sich mit einem Land, das Mitten im dramatischsten Umbruch seiner jungen Geschichte steht. Zu den Rednern der zweitägigen Online-Veranstaltung gehörten führende Vertreter der Oppositionsbewegung und die Außenminister Deutschlands und Polens. Der Ost-Ausschuss organisierte das Wirtschaftspanel.

Ob führende Vertreter der offiziellen Minsker Regierung online den Debatten folgten, ist nicht bekannt. Die Inhalte der Eröffnungsreden hätten ihnen wenig gefallen: „Das alte System bröckelt – und ein neues Belarus erwächst. Dabei verbindet uns alle, dass wir uns in diesem neuen Belarus wiederfinden können und ihm deshalb auch zum Durchbruch verhelfen wollen“, sprach Bundesaußenminister Heiko Maas für einen obersten Diplomaten ausgesprochen deutliche Worte. Maas lobte die „mutigen Frauen und Männer auf den Straßen von Minsk, Grodno und Brest“. Seit der Präsidentenwahl im August, an dessen Ende sich Alexander Lukaschenka erneut zum Präsidenten erklärt hatte, habe es 30.000 Festnahmen, 1.000 Strafverfahren, weit über 100 politische Gefangene und auch Tote gegeben.

Sein polnischer Amtskollege Zbigniew Rau betonte, dass ausschließlich die Belarussen in einem nationalen Dialog über ihre Zukunft zu entscheiden hätten und dass es dazu fairer und freier Neuwahlen und eines von allen gesellschaftlichen Gruppen getragenen Reformprozesses bedürfe.

Finanzielle Hilfe der EU

Die von Lukaschenko außer Landes getriebene oppositionelle Präsidentschaftskandidatin Swjatlana Zichanouskaja erklärte, dass die Regierung die Protestbewegung durch Gewalt einschüchtern und verängstigen wolle. „Aber das wird nicht passieren. Mein Volk wird täglich stärker.“ Zichanouskaja appellierte an die EU-Länder keine normalen Beziehungen mehr zur Unterstützern Lukaschenkos zu pflegen. Wichtig sei auch, dass die EU und die internationale Gemeinschaft finanzielle Hilfe in Aussicht stelle.

Dass diese Bitten erhört werden, deuteten verschiedene EU-Vertreter im Lauf verschiedener Diskussionsrunden an. Dirk Schübel, Botschafter und Leiter der Vertretung der EU in Belarus, sagte im Abschlusspanel, dass die EU an einem umfassenden Wirtschaftsplan für ein demokratisches Belarus arbeite. „Der wird aus der Schublade gezogen, wenn die Reformen greifen und eine neue belarussische Regierung gebildet wird.“ Noch im Dezember 2020 könnte der Plan veröffentlicht werden.

Ost-Ausschuss organisiert Wirtschaftspanel

Stefan Kägebein, OA-Regionaldirektor für Osteuropa, konnte neben Jeroen Willems, Stellvertretender Referatsleiter in der Generaldirektion für Nachbarschaft und Erweiterungsverhandlungen der EU-Kommission fünf weitere Wirtschaftsexperten aus Belarus und Deutschland begrüßen. Manfred Huterer, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Belarus, führte das Panel ein und betonte, dass die wirtschaftliche Entwicklung des Landes von einer friedlichen Lösung der politischen Krise abhänge. Sanktionen könnten erst aufgehoben werden, wenn die Kernforderungen der EU – Freilassung der politischen Gefangenen, ein Ende der Gewalt, ein Dialogprozess aller gesellschaftlichen Gruppen als Vorbereitung von Neuwahlen – umgesetzt seien. Daneben betonte Huterer: „Wir müssen die Fehler der Vergangenheit vermeiden und brauchen eine sozialverträgliche Transformation.“ Einig waren sich alle Panelisten, dass das staatszentrierte Wirtschaftsmodell in Belarus schon seit Jahren Verschleißerscheinungen zeige, die in einseitigen Abhängigkeiten, sinkender Produktivität und steigender Ineffektivität mündeten. Die Ereignisse des Jahres 2020 hätten diese strukturellen Schwächen offengelegt und verschärft. Kleine und mittelgroße private Unternehmen bewerteten die Zukunftsaussichten überwiegend negativ und sähen aktuell ein großes Risiko für neue Investitionen im Land.

Ein reformiertes Belarus könnte dagegen in vielen Sektoren ein wichtiger Partner für die EU und Deutschland sein. Die Entwicklung im IT-Sektor in den vergangenen Jahren habe dies eindrucksvoll bewiesen. Auch die verarbeitende Industrie, die Agrarwirtschaft oder der Maschinenbau hätten Potential. Um perspektivisch die Integration in europäische Wertschöpfungsketten besser umzusetzen, wäre ein größerer Privatsektor wichtig.

Veranstaltet wurde das 1997 vom langjährigen Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Rainer Lindner gegründete Minsk Forum von der Deutsch-Belarussischen Gesellschaft (dbg) mit Unterstützung durch das Auswärtige Amt und in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-, der Friedrich-Ebert-, und der Heinrich-Böll-Stiftung. Alle Teile der Konferenz können auf Youtube in verschiedenen Sprachen angesehen werden.


Andreas Metz,
Leiter Public Affairs im Ost-Ausschuss

Stefan Kägebein,
Regionaldirektor für Osteuropa im Ost-Ausschuss

Ansprechpartner

Stefan Kägebein
Regionaldirektor Osteuropa
Tel.: 030 206167-113
S.Kaegebein@oa-ev.de

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