An einem historischen Ort der Berliner Industriegeschichte lud der Ost-Ausschuss am 23. Januar zu seinem traditionellen Neujahrsempfang ein. Über 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wirtschaft, Politik und Diplomatischem Corps – darunter viele Botschafterinnen und Botschafter der Ost-Ausschuss-Partnerländer – kamen dazu im Amplifier auf dem ehemaligen AEG-Gelände am Humboldthain zusammen. Gastredner war Bundesfinanzminister Christian Lindner, der für die nachhaltige Unterstützung der Ukraine warb, aber auch auf allgemeine wirtschaftspolitische Herausforderungen für Deutschland einging.
Der Ost-Ausschuss sei in seiner Geschichte immer ein Pionier gewesen, sagte Lindner. Das Jahr 2022 markiere nun einen „Epochenbruch“. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg gebe es den Versuch, mit militärischer Gewalt Grenzen zu verschieben. „Alles, was aufgebaut wurde, wurde leichtsinnig von Putin aufs Spiel gesetzt“, sagte Lindner mit Blick auf den russischen Präsidenten. „Putin testet uns und setzt darauf, dass wir schwach sind.“ Es sei eine Wette auf unsere Wohlstandsverluste. „Ein Wohlstand von Putins Gnaden wäre wertlos.“ Viele Unternehmen des Ost-Ausschusses hätten wirtschaftliche Nachteile erlitten. Es gäbe aber keine Alternative zu den „beispiellosen Sanktionen“ gegen Russland. „Dass der Ost-Ausschuss an der Seite der Ukraine steht, zeigt, dass Putins Wette nicht aufgeht“, betonte der Finanzminister.
Dies gelte auch für die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine. „Deutschland ist sich seiner Verantwortung bewusst“, sagte Lindner, forderte gleichzeitig aber mehr Engagement von den EU-Partnerländern. „Am Ende kann es nicht so sein, dass Deutschland finanziell mehr tut, damit andere weiter weniger tun können“, sagte er und ergänzte: „Wir haben ein gemeinsames europäisches Interesse an der Souveränität der Ukraine und wir sind eine europäische Wertegemeinschaft.“ Die Ukraine habe sich für Europa entschieden und sei gerade deswegen von Russland angegriffen worden. „Deshalb ist es unsere Verantwortung, der Ukraine eine Perspektive zu eröffnen und sie zu unterstützen.“
Lindner unterstrich dabei die Notwendigkeit, auch privates Kapital für den Wiederaufbau der Ukraine zu gewinnen. „Es wird nicht gelingen, den Wiederaufbau allein mit dem Geld der europäischen Steuerzahler zu finanzieren; entscheidend ist es, privates Kapital zu mobilisieren.“ Die Ukraine müsse viele Voraussetzungen erfüllen, damit privatwirtschaftliche Initiative dort gelingen könne. Dazu werde die Bundesregierung das Land auch mit administrativem Know-how unterstützen.
Für Deutschland selbst forderte der Finanzminister eine „Wirtschaftswende“ mit Vorfahrt für investive Vorhaben, der Mobilisierung von Arbeitslosen, einer wettbewerbsfähigen Energiewende, niedrigeren Unternehmenssteuern und einem Bürokratiemoratorium. Dazu gehöre auch die Absage an das EU-Lieferkettengesetz. „Man kann nicht gleichzeitig die höchsten Energiepreise, die höchsten Bürokratielasten, einen unverändert hohen Fach- und Arbeitskräftebedarf haben und gleichzeitig sehr hohe Steuersätze“, sagte Lindner.
Die anschließende Fragerunde, die von Andreas Metz, Leiter Public Affairs im Ost-Ausschuss, moderiert wurde, wurde von den Ergebnissen einer Live-Umfrage im Publikum eingeleitet. Sowohl was ihre Umsatzerwartungen als auch die Exporte nach Mittel- und Osteuropa im laufenden Jahr angeht, zeigten sich die anwesenden Unternehmensvertreterinnen und -vertreter dabei optimistisch. Jeweils rund 40 Prozent erwarten für 2024 steigende oder zumindest gleichbleibende Umsätze. Über die Hälfte rechnen 2024 mit höheren Exporten nach Mittel- und Osteuropa als im Vorjahr.
Angesprochen auf die Chancen einer baldigen EU-Erweiterung um Partnerländer des Ost-Ausschusses betonte der Finanzminister, dass der EU-Beitritt „strikt leistungsorientiert“ sein, aber auch die Union selbst ihre Aufnahmefähigkeit herstellen müsse. „Aus geopolitischen Gründen haben wir großes Interesse, unsere Nachbarn an uns heranzuführen“, sagte Linder und warb zugleich um eine EU als „Raum der Vielfalt“: „Wir müssen stärker berücksichtigen, dass es gesellschaftspolitisch unterschiedliche Präfenzen gibt“, so Lindner. „Das müssen wir auch tolerieren.“
Zuvor hatte die Ost-Ausschuss-Vorsitzende Cathrina Claas-Mühlhäuser in ihrer Begrüßung einen Ausblick auf das Jahr 2024 und die für den Ost-Ausschuss wichtigsten Themen gegeben. Die Region des Ost-Ausschusses sei seit 2022 von Russlands Krieg gegen die Ukraine geprägt. Deshalb sei die Unterstützung des Wiederaufbaus in der Ukraine und die Hilfe für deutsche Investoren vor Ort in den vergangenen zwei Jahren zu einem der wichtigsten Schwerpunkte der Ost-Ausschuss-Arbeit geworden. „Wir sind hier beispielsweise mit unserem Service Desk Ukraine und einer großen Arbeitsgruppe in ständigem Kontakt mit ukrainischen Stellen und der Bundesregierung und wollen mit ihnen gemeinsam die Wiederaufbaukonferenz im Juni 2024 in Berlin zum Erfolg führen“, sagte Claas-Mühlhäuser. Sie würdigte die klare Position des Bundesfinanzministers für die Fortsetzung der finanziellen und militärischen Unterstützung des Landes. „Das ist nicht überall populär, gerade in Zeiten knapper Kassen“, sagte die Ost-Ausschuss-Vorsitzende. „Aber Deutschland darf hier nicht wackeln, das ist auch unsere klare Überzeugung als Ost-Ausschuss.“
Da passe es gut, dass 2024 ein europäisches Jahr werde, sagte Claas-Mühlhäuser mit Blick die Europawahlen im Juni und den 20. Jahrestag der ersten EU-Osterweiterung. „Herausgekommen ist am Ende eine unglaubliche Erfolgsgeschichte“, sagte Claas-Mühlhäuser. „Wo würden wir denn heute in Europa im internationalen Vergleich etwa mit den USA oder China stehen, wenn es diese Erweiterung damals nicht gegeben hätte?“ Die deutsche Wirtschaft wünsche sich daher mehr Tempo bei der EU-Integration der Länder des Westlichen Balkans, der Ukraine, Moldaus und Georgiens. Dringlich sei aber auch eine Intensivierung der Beziehungen mit Zentralasien und dem Südkaukasus. „Europa muss diesen Ländern klare Wirtschaftsperspektiven aufzeigen und darf sie nicht China und anderen Wettbewerbern überlassen“, sagte Claas-Mühlhäuser. Der Ost-Ausschuss biete auch in diesem Jahr eine Fülle von Veranstaltungen, um deutschen Unternehmen den Weg in die Region mit ihren 400 Millionen Menschen zu ebnen.
Im Anschluss an die Reden hatten die Gäste die Gelegenheit sich bei Speisen und Getränken in einem spannenden Ambiente auszutauschen. Auf dem Gelände, zu dem der Amplifier gehört, baute die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft AEG 1894 den größten Industriekomplex Berlins, in dem bis in die 1980er Jahre hinein Elektromotoren, Dynamos und Hochspannungstechnik produziert wurde. Diese Wiege der deutschen Elektroindustrie machte Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts zur deutschen „Elektropolis“ – ein Bekenntnis zur industrielle Innovationsfähigkeit Deutschlands, die zu Deutschlands „Turn-around-Potenzial“ beiträgt, dass der Finanzminister beschwor. Ermöglicht wurde diese Veranstaltung auch durch die neuen Jahressponsoren des Ost-Ausschusses, denen wir für ihre Unterstützung herzlich danken!
Schauen Sie sich auch unser Videoreview zum Neujahrsempfang an:
Christian Himmighoffen
Leiter Presse und Kommunikation
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