Am 1. Mai 2024 jährt sich zum 20. Mal die Erweiterung der Europäischen Union um zehn mittelost- und südeuropäische Staaten. Der Beitritt von Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Malta und Zypern war die fünfte und mit Abstand größte EU-Erweiterungsrunde. Damit traten 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs acht Staaten des ehemaligen Ostblocks der EU bei. Diese wuchs über Nacht von 15 auf 25 Mitgliedstaaten, von 11 auf 21 Amtssprachen und von rund 380 Millionen auf 458 Millionen Einwohner. „Die Erweiterungsrunde von 2004 ist zu einer beispiellosen gemeinsamen Erfolgsgeschichte geworden, sowohl für die Beitrittsländer als auch für Deutschland“, sagt der stellvertretende Ost-Ausschuss-Vorsitzende Philipp Haußmann, der im Verband zugleich Sprecher der Arbeitsgruppe Mittelosteuropa ist. „Die deutschen Unternehmen wären heute weit weniger leistungsfähig, wenn sie diese Länder nicht eng in ihre Wertschöpfungsketten eingebunden hätten“, sagt Haußmann. „Davon haben auch die Beschäftigten in den Stammwerken in Deutschland profitiert, denn die Unternehmen wurden global wettbewerbsfähiger. Ohne die EU-Erweiterung wäre Deutschland heute ärmer.“
Der Blick auf die großen Vorteile, die die EU-Erweiterung für die deutsche Wirtschaft brachte, sollte Mut machen, den EU-Erweiterungsprozess jetzt entschlossen fortzusetzen. „Über elf Jahre nach der Aufnahme Kroatiens muss die EU endlich wieder aufnahmefähig und -bereit sein“, sagt der stellvertretende Ost-Ausschuss-Vorsitzende. „Die jahrzehntelange Hängepartie für die Länder des Westlichen Balkans beschädigt die Glaubwürdigkeit der EU. Sie spielt dadurch anderen geopolitischen Akteuren in die Hände und bremst die wirtschaftliche Entwicklung in Europa.“
Bereits 2003 hat die EU allen damaligen Staaten des Westlichen Balkans einen EU-Beitritt in Aussicht gestellt. „Wir wünschen uns insgesamt mehr Tempo und Verbindlichkeit bei der EU-Integration in Ost- und Südosteuropa“, betont Haußmann. „Die Erweiterung geht nicht über Nacht. Aber bei den Vorbereitungen sowohl in Brüssel als auch in den Ländern selbst, können und müssen wir die Schlagzahl erhöhen.“
Entgegen mancher Vorbehalte und Befürchtungen hat Deutschland auch dank der Erweiterung der EU nach Osten seit 2004 eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte erlebt: So hat die Erweiterung zu einem beispiellosen Aufschwung des deutschen Außenhandels und damit zur Sicherung bestehender und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beigetragen: Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland ist von 2003 bis 2023 von 39 Millionen auf fast 46 Millionen gestiegen. Rund zwei Drittel des Anstiegs der Erwerbstätigenzahl in den letzten 20 Jahren gingen dabei auf das Konto des deutschen Exports, gerade auch nach Mittelosteuropa.
Insgesamt hat sich der deutsche Außenhandel mit den acht östlichen EU-Mitgliedern Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen und Slowenien (MOE-8) von 2003 bis 2023 von 113 Milliarden auf 428 Milliarden Euro fast vervierfacht. Zum Vergleich: Der deutsche Gesamthandel wuchs in dieser Zeit nur um 143 Prozent. Nimmt man die drei „Nachzügler“ Bulgarien, Rumänien und Kroatien noch dazu, die erst in den Jahren 2007 und 2013 EU-Mitglieder wurden, summierte sich der deutsche Osthandel mit den östlichen EU-Mitgliedern 2023 auf fast 490 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Anteil von 16,8 Prozent am gesamten deutschen Außenhandel. Allein der deutsche Handel mit Polen und Tschechien ist zusammen größer als der Warenaustausch mit China. Bis Ende 2021 haben deutsche Unternehmen zudem über 115 Milliarden Euro in den EU-Staaten Mittel- und Südosteuropas investiert und beschäftigen dort rund anderthalb Millionen Menschen.
Für die MOE-8 war die wachsende wirtschaftliche Verflechtung mit der EU mit einem beispiellosen Wirtschaftsaufschwung verbunden. „Die manchmal vorgebrachte Kritik, nur die oberen fünf oder zehn Prozent der Bevölkerung in der Region hätten vom Aufschwung profitiert, stimmt nicht“, sagt Philipp Haußmann. „Insbesondere die umfangreichen deutschen Direktinvestitionen in Ostmittel- und Südosteuropa haben maßgeblich zu Wirtschaftswachstum und Beschäftigung beigetragen.“ In den Jahren von 2001 bis zur Finanzkrise 2008 verzeichnete die Region ein spektakuläres Wachstum von durchschnittlich über fünf Prozent. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung ging die Angleichung an die Lebensverhältnisse der Alt-EU voran, auch wenn der Prozess noch nicht abgeschlossen ist: Insgesamt ist das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in den 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten von etwa 52 Prozent des EU-Durchschnitts im Jahr 2004 auf fast 80 Prozent im Jahr 2023 gestiegen. Die Arbeitslosenquoten in diesen Mitgliedstaaten sind im selben Zeitraum von durchschnittlich 13 Prozent auf vier Prozent gesunken.
„Die MOE-8 sind längst mehr als eine ‚verlängerte Werkbank‘ westlicher Unternehmen, sondern setzen zunehmend auf innovationsgetriebenes Wachstum“, sagt Haußmann. Auch die anstehende digitale und grüne Transformation sorge in Mittelosteuropa für Impulse und biete gerade deutschen Unternehmen einen wichtigen Markt.
Mit der Entscheidung des Europäischen Rats zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau und zur Verleihung des Kandidatenstatus an Georgien im Dezember 2023 sowie mit dem Beschluss zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina im März 2024 hat die EU jüngst die Weichen wieder klar in Richtung Erweiterung gestellt. „Gerade weil der weltweite Mainstream derzeit Richtung Protektionismus und Abschottung geht, müssen wir uns noch stärker für eine möglichst hindernisfreie Weltordnung positionieren und andere davon überzeugen“, sagt Philipp Haußmann. Es sei für die wirtschaftliche Zukunft der EU von entscheidender Bedeutung an der Verwirklichung eines größeren europäischen Wirtschaftsraums zu arbeiten und noch bestehende Hindernisse in Form von Zollschranken und unterschiedlichen Standards abzubauen. „Wir tun gut daran, den Europäischen Binnenmarkt zu vollenden und Richtung Osten und Südosten weiterzuentwickeln“, sagt Haußmann. Heute wohnten weltweit nur noch sieben Prozent der Menschen in der EU, Tendenz fallend. „Wenn wir als Europäer in der Weltwirtschaft dauerhaft relevant sein wollen, müssen wir uns zusammenraufen. Ein größeres und integriertes Europa ist ein stärkeres Europa.“
Ein Dossier zur EU-Erweiterung 2004 mit Zahlenmaterial finden Sie nachstehend als Download. Zahlen und Daten können auch beim Ost-Ausschuss abgefragt werden.
Christian Himmighoffen
Leiter Presse und Kommunikation
T. +49 30 206167-122
C.Himmighoffen@oa-ev.de
Kontakt Newsletter