Es sind unruhige Zeiten in Georgien: In der Hauptstadt Tiflis kommt es nahezu täglich zu Demonstrationen gegen ein „Transparenzgesetz“, das Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Geld aus dem Ausland erhalten, zur Kennzeichnung als „ausländische Agenten“ verpflichtet. Kritiker erinnert das Gesetz an eine entsprechende gesetzliche Regelung in Russland. Sie werfen der Regierung vor, damit die Arbeit von NGOs erschweren zu wollen. Die Verabschiedung des Gesetzes Mitte Mai rief nicht nur neue Demonstrationen auf den Plan, sondern auch die EU-Kommission. Der EU-Außenbeauftrage Josep Borrell fordert darauf hin offen die Rücknahme des Gesetzes, das den EU-Kurs Georgiens gefährde. Erst im Dezember 2023 hatte das Land im Südkaukasus wie zuvor schon die Ukraine und Moldau den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten. Vor der Eröffnung von Verhandlungen muss Tiflis allerdings noch auf neun Reformfeldern nachbessern.
Bereits Anfang Mai reiste der Staatssekretär im BMWK Sven Giegold in Begleitung einer kleinen Wirtschaftsdelegation nach Tiflis, die vom Ost-Ausschuss und von der Deutschen Wirtschaftsvereinigung (DWV) in Georgien organisiert worden war. Geleitet wurde die Unternehmerdelegation von Marc-Julian Siewert von der Veridos GmbH. „Georgien muss jetzt Kurs halten und die vereinbarten Reformschritte rasch umsetzen“, sagte Staatsekretär Giegold im Vorfeld der Reise. „Georgien ist für uns ein wichtiger Partner im Südkaukasus. Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu Georgien wollen wir intensivieren. Die Bundesregierung stärkt deutsche Unternehmen bei ihren Aktivitäten in der Region und setzt damit auch einen positiven Impuls für Reformen im EU-Beitrittsprozess.“
Ziel der Reise war es, sich über die aktuelle politische Situation, aber auch über Geschäftsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen in Georgien zu informieren. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat der Südliche Kaukasus als alternativer Transportweg zwischen Europa und Asien, aber auch als Wirtschaftspartner deutlich an Gewicht gewonnen. Dabei haben die deutsch-georgischen Wirtschaftsbeziehungen eine lange Tradition. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts wanderten schwäbische Siedler nach Georgien aus und betrieben dort Landwirtschaft. Die Siemens-Brüder Walter und Otto bauten um 1860 die erste Telegrafenlinie von Moskau nach Poti und sind in Tiflis begraben.
Das Besuchsprogramm in Tiflis startete mit einem gemeinsamen Briefing der Delegation durch Staatssekretär Giegold, den deutschen Botschafter Peter Fischer und den DWV-Geschäftsführer Thomas Kimmeswenger. Dabei ging es unter anderem um den künftigen Kurs des Landes gegenüber der EU. Das Ziel der EU-Mitgliedschaft steht in der georgischen Verfassung, und das Land war bis zur jüngsten „Vollbremsung“ ein Vorreiter bei der Umsetzung europäischer Standards. Die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet den europäischen Kurs. Als mögliche Gründe für den Kurswechsel der Regierung wird vor allem politischer Druck aus Russland vermutet, das rund 18 Prozent des georgischen Staatsgebiets besetzt hält und nach wie vor ein wichtiger Wirtschaftspartner Georgiens ist. Die Rolle des Landes als ein „Schlüssel“ für die Konnektivität über den Kaukasus, wurde eingehend diskutiert, auch wenn der Weg noch weit ist. Im Jahr 2023 wurde nicht mal ein Prozent des gesamten Transportvolumens zwischen Europa und Asien über den sogenannten „Mittleren Korridor“ abgewickelt. Voraussetzung dafür ist unter anderem die Weiterentwicklung der Häfen von Batumi und Poti. Die georgische Regierung setzt allerdings im inzwischen dritten Anlauf auf den umstrittenen Bau eines Tiefsee-Containerhafens in Anaklia, für den derzeit die internationale Ausschreibung läuft.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind günstig, wie Rechtsanwalt Sergi Jorbenadze von JG Counselors im Anschluss an das Briefing erläuterte. So koste es lediglich 75 Euro, um juristische Person binnen vier Stunden zu registrieren. Dafür sorge die digitalisierte Verwaltung mit ihren schnellen Prozessen. EU-Bürger bräuchten zudem keine Arbeitserlaubnisse. Schwierigkeiten bereitet ausländischen Unternehmen allerdings zunehmend der Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen. Hier blockieren nach Einschätzung von Insidern wirtschaftliche Interessengruppen den Zugang zu bestimmten Branchen. Andererseits trägt aber auch die EU mit ihren umfangreichen Regulierungsanforderungen dazu bei, das Geschäftsumfeld in Georgien bürokratischer zu machen.
Die Bemühungen Georgiens um einen EU-kompatiblen Markt wurden beim Besuch der Wettbewerbsbehörde deutlich, die auf Basis des Wettbewerbsgesetzes die Erfüllung der entsprechenden georgischen Verpflichtungen aus dem Freihandels- und Assoziierungsabkommen mit der EU von 2014 überwacht. Die Behörde ist formal unabhängig in ihren Entscheidungen und allein dem Parlament verantwortlich. Schwerpunkte sind die Bereiche Wettbewerb, Anti-Dumping und Verbraucherschutz, der im Rahmen eines EU-finanzierten Twinning-Projekts seit Juni 2022 verbessert wird. 2023 verhängte die Behörde Strafen in Höhe von 60 Millionen Lari (ca. 20 Millionen Euro) vor allem wegen mangelnden Wettbewerbs und Preisabsprachen im Pharmamarkt. Zu den EU-Forderungen vor der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen gehört die verstärkte Kontrolle staatlicher Beihilfen. Beim anschließenden Gespräch mit der Vizeministerin für Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung Mariam Kvrivishvili hatten die Teilnehmer dann Gelegenheit, ihre konkreten Anliegen vorzubringen.
Logistik in der Praxis gab es bei einem Unternehmensbesuch im Logistikzentrum von Gebrüder Weiss nahe des Flughafens von Tiflis zu bestaunen. Das österreichische Logistikunternehmen betreibt hier seinen regionalen Hub für den Südlichen Kaukasus, aber auch in Richtung Zentralasien. Lieferungen für die Region kommen teils über den Seeweg durch das Mittelmeer und das Schwarze Meer zum georgischen Hafen Poti, von wo sie das Hub von Weiss erreichen, das hier unter anderem Lagerflächen und Kommissionierung für internationale Kunden anbietet. Zu den Problemen des Mittleren Korridors – so wurde deutlich – gehört neben der zeitaufwändigen Multimodalität auch die mangelnde Koordination zwischen den Anrainerstaaten. So ist die Landgrenze zwischen Georgien und Aserbaidschan seit der Corona-Pandemie für den Individualverkehr geschlossen.
Insbesondere der Energiesektor stand im Mittelpunkt eines Gesprächs mit den örtlichen KfW-Vertreterinnen und -Vertretern Birgit Holderied und Bodo Schmülling. Auf den Sektor entfällt ein Großteil des georgischen KfW-Portfolios, insbesondere auf die Entwicklung des Strommarktes und den Ausbau der Stromübertragungsnetze für den Export zum Beispiel in die Türkei, und für die Nutzung grünen Wasserstoffs etwa für Busse in Batumi. Daneben engagiert sich die deutsche Entwicklungsbank beim Schutz der Biodiversität und der Förderung eines Ausbildungszentrums für Logistik- und Bausektor.
Den Abschluss des Besuchstages bildete ein Empfang in der Residenz des deutschen Botschafters in Tiflis. Auch hier wurden die Teilnehmenden von der politischen Situation eingeholt: In der Nähe der Residenz versammelten sich auch an diesem Abend Demonstrierende vor dem Hauptquartier der Regierungspartei „Georgischer Traum“, um für ihren „europäischen Traum“ zu demonstrieren. Georgiens Weg scheint offen.
Christian Himmighoffen
Leiter Presse und Kommunikation
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