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Fokus auf Wiederaufbau, Sicherheit und EU-Integration

Der stellvertretende Ost-Ausschuss-Vorsitzende Christian Bruch begrüßte die Teilnehmenden. Foto: Jens Schicke/DIHK
11.12.2024
Bundeskanzler Scholz und Premier Schmyhal eröffneten bilaterales Wirtschaftsforum in Berlin/ Deutsch-ukrainischer Handel erreicht 2024 Rekordhoch

Mit Reden von Bundeskanzler Olaf Scholz und seines ukrainischen Amtskollegen Denys Schmyhal begann am 11. Dezember im Berliner Haus der Deutschen Wirtschaft das 7. Deutsch-Ukrainische Wirtschaftsforum. Rund 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und zahlreiche Pressevertreterinnen und -vertreter unterstrichen eindrucksvoll das große Interesse am Wiederaufbau und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Ukraine.

Die Veranstalter, neben dem Ost Ausschuss die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) und die Deutsch-Ukrainische Industrie- und Handelskammer (AHK Ukraine), konnten außerdem Vize-Kanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sowie Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze begrüßen, die sich mit dem ukrainischen Vize-Premierminister Olexij Tschernyschow, Präsidentenberater Oleksandr Kamyschin und Energieminister German Galuschtschenko sowie vielen Wirtschaftsvertreterinnen und -vertretern an Paneldiskussionen und Gesprächen beteiligten. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Stronger together. Securing the future“. Inhaltliche Schwerpunkte lagen in diesem Jahr auf den Themen Energieversorgung und Verteidigungsindustrie.

Bruch: „Die deutsch-ukrainischen Wirtschaftsbeziehungen sind Chefsache.“

Begrüßt wurden die beiden Regierungschefs und die Gäste von DIHK-Präsident Peter Adrian und dem stellvertretenden Ost-Ausschuss-Vorsitzenden Christian Bruch, der seit Sommer Vorsitzender des internationalen Business Advisory Councils (BAC) für die Ukraine ist. „Die deutsche und ukrainische Wirtschaft haben in den vergangenen Jahren ein belastbares Fundament für erfolgreiche Wirtschaftsbeziehungen gelegt“, sagte Bruch mit Blick auf die aktuellen Handelszahlen. Von Januar bis September 2024 sei der deutsch-ukrainische Handel um 17 Prozent auf 8,4 Milliarden Euro gewachsen. Bis Ende 2024 werde ein Rekordvolumen von etwa zwölf Milliarden Euro erwartet. „Wir haben gemeinsam Dinge erreicht, die vor zwei Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte“, sagte der stellvertretende Ost-Ausschuss-Vorsitzende. „Die deutsche Wirtschaft und die Verbände – Ost-Ausschuss, DIHK und AHK – bleiben hochengagiert, um diese Erfolge weiter auszubauen.“

Bruch, der CEO von Siemens Energy ist, ging auf die Bedeutung der Energieinfrastruktur für die Ukraine ein, die weiterhin unter massivem Beschuss stehe. Dank internationaler Unterstützung habe die Energieversorgung immer wieder stabilisiert werden können. Eine effektive Koordinierung des Wiederaufbaus auf internationaler Ebene sei von entscheidender Bedeutung. Genau dafür wurde im Rahmen der Berliner Wiederaufbaukonferenz im Juni das BAC aus Vertretern der Wirtschaft der wichtigsten Geberländer gegründet, das die Ukraine Donor Platform zu Fragen des wirtschaftlichen Aufbaus berät. In den vergangenen sechs Monaten seien im BAC in vier Arbeitsgruppen zentrale Herausforderungen der Ukraine analysiert und daraus insgesamt 25 Empfehlungen erarbeitet worden, darunter eine Reform des Beschaffungsrechts, die Absicherung der Investitionen in Energieprojekte, die Einrichtung einer Gruppe von Versicherern zur Absicherung von Investitionen und Handel sowie die Etablierung eines attraktiveren Umfelds für dringend benötigte Fachkräfte. Bruch dankte den Regierungschefs für deren Konferenzteilnahme. „Die deutsch-ukrainischen Wirtschaftsbeziehungen sind Chefsache“, sagte Bruch. „So muss es auch bleiben, wenn wir gemeinsam die Herausforderungen bewältigen wollen. Die Wirtschaft steht bereit, weiter zu helfen.“

Schmyhal betont europäische Zukunft der Ukraine

Der ukrainische Premier Schmyhal würdigte Deutschlands Schlüsselrolle bei der Unterstützung der Ukraine – sowohl wirtschaftlich als auch politisch. So habe die Bundesregierung bereits Investitionsgarantien für 53 deutsche Projekte in der Ukraine im Wert von rund 400 Millionen Euro übernommen. Schmyhal machte zugleich deutlich, dass die Ukraine Europa einiges zu bieten habe, etwa ihre Rohstoffvorkommen, ihr Know-how in digitaler Verwaltung und Cybersicherheit sowie eine starke Rüstungsindustrie. Aktuell arbeiteten allein in den 800 ukrainischen Rüstungsbetrieben 300.000 Beschäftigte. Vor allem die Drohnenindustrie gilt international als hoch innovativ. „Wir sind bereit, unser Know-how mit unseren deutschen Partnern zu teilen", sagte Schmyhal. Auch der große Agrarsektor der Ukraine sei keine Bedrohung für Europa. Er könne durch seine wichtige Rolle bei der Ernährungssicherheit in Afrika dazu beitragen, den Migrationsdruck von dort zu mindern und Europa nachhaltig zu stärken. Ähnlich zukunftsweisend sei der Energiesektor: Mit deutscher Unterstützung könne die Ukraine nach dem Krieg zu einem zentralen Energie-Hub werden und Europas Energieabhängigkeit von Russland weiter reduzieren. Schmyhal bekräftigte die europäische Zukunft seines Landes und wechselte dafür unter dem Applaus des Publikums von der ukrainischen Sprache ins Deutsche: „Wer heute in die Ukraine investiert, investiert in einen zukünftigen EU-Mitgliedsstaat.“

Scholz: „Die Ukraine kann sich auf uns verlassen.“

Bundeskanzler Scholz erinnerte in emotionalen Worten an seinen jüngsten Besuch in Kiew, der bei ihm tiefe Eindrücke hinterlassen habe. „Einige der Wunden des Krieges habe ich selbst gesehen“, sagte er. Die Ukraine stehe vor einem harten Winter, doch die Entschlossenheit des Landes, sich zu verteidigen, sei ungebrochen. Mit seiner umfassenden Unterstützung, insbesondere bei der Luftabwehr, beweise Deutschland seine Solidarität. „Putin hat nicht ein einziges seiner Ziele erreicht.“ Und er irre sich mit der Annahme, den längeren Atem zu haben, erklärte Scholz unter großem Applaus. „Die Ukraine kann sich auf uns verlassen – wir lassen sie nicht im Stich.“ Helfen werde dabei auch der gerade durch die G7-Staaten vorbereitete 50-Milliarden-Euro-Kredit für die Ukraine, der durch außerplanmäßige Erträge aus eingefrorenem russischem Vermögen finanziert werde. „Die Verbindung zwischen unseren beiden Ländern ist eng – nicht zuletzt durch 1,2 Millionen Ukrainer, die in Deutschland leben“, so der Bundeskanzler. Deutschland helfe nicht nur kurzfristig etwa aktuell mit weiteren 70 Millionen Euro für Energieausrüstungen für den Winter, sondern setze auf langfristige Perspektiven.

Der Handel wachse, und 2.000 deutsche Unternehmen seien weiterhin im Land aktiv – viele planten zusätzliche Investitionen. Das Business Advisory Council spiele dabei eine Schlüsselrolle, indem es internationale Unternehmen und Politik miteinander verbinde und den Wiederaufbau begleite. Scholz würdigte in diesem Zusammenhang Christian Bruch für dessen Engagement als Leiter des Gremiums: „Für das, was Sie da in wenigen Monaten auf die Beine gestellt haben, sage ich Ihnen ganz herzlich Danke.“ „Investitionen in die Ukraine sind Investitionen in die Zukunft eines EU-Mitglieds“, griff der Bundeskanzler die Vorlage des ukrainischen Premiers auf und verwies auf die Wachstumserfolge früherer EU-Beitrittsländer. Deutschland werde die Ukraine auf dem Weg in die EU und zu einem gerechten Frieden unterstützen. „Jeder Kriegstag ist einer zu viel“, so Scholz.

Habeck: Europa wird mit der Ukraine ein anderes sein

Im anschließenden Ministerdialog über die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit der Ukraine betonte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die enormen Opfer, die die Ukraine im Krieg bringe, und hob hervor, wie wichtig die Unterstützung ihres Energiesystems sowohl kurzfristig als auch für den Wiederaufbau ist. Dabei warb er für den Einsatz erneuerbarer Energien: „Ein Kraftwerk kann man leicht beschießen, für einen Windpark mit 40 Windrädern braucht man aber 40 Raketen“, so der Vizekanzler. Habeck sieht in der Ukraine einen vielversprechenden Geschäftspartner und betonte die Bedeutung einer klaren EU-Perspektive, insbesondere eines zügigen Beitritts zum Binnenmarkt. Der Beitrittsprozess der Ukraine sei kein „Voodoo“, es gebe dafür klare Regeln, die erfüllt werden könnten. „Es wird mit der Ukraine nicht enden wie mit der Türkei, sondern wie mit Polen“, sagte Habeck. „Alle wissen, wohin die Reise geht.“ Dabei wies er auf die Notwendigkeit von Korruptionsbekämpfung, Transparenz und klaren Zuständigkeiten hin. Nicht nur die Ukraine müsse sich auf die EU, sondern umgekehrt die EU auch auf die Ukraine als größtem Flächen- und Agrarstaat in Europa einstellen. „Europa wird dadurch ein anderes Europa sein“, sagte der Vize-Kanzler. „Da kommen jetzt nicht die Färöer dazu. Europa muss sich dafür fit machen.“

Die ukrainische Vize-Premierministerin Yulia Svyrydenko, die online zugeschaltet war, rief deutsche Unternehmen dazu auf, in der Ukraine zu investieren, und verwies auf große Chancen in Bereichen wie Produktion, kritische Rohstoffe sowie IT und digitale Technologien. Sie betonte, dass die Ukraine aktiv Maßnahmen ergreife, um die Investitionsbedingungen zu verbessern, etwa durch Reformen zur Korruptionsbekämpfung und neue Versicherungsmodelle für Transporte im Landesinneren, nachdem bereits Lösungen für Seetransporte über das Schwarze Meer gefunden worden seien. Zudem arbeite die Ukraine an Programmen, um Geflüchteten die Rückkehr zu erleichtern, indem man ihnen Wohnraum, Arbeitsplätze und Bildungsangebote zur Verfügung stelle. Deutsche Investitionen könnten eine Schlüsselrolle spielen, um die wirtschaftliche Erholung und langfristige Stabilität der Ukraine zu sichern.

Dezentrale Energiesysteme und erneuerbare Energien spielen zentrale Rolle

Über die Lage des ukrainischen Energiesystems wurde im ersten Fachpanel der Konferenz gesprochen. Trotz der immensen Schäden, die russische Angriffe auf die Energieinfrastruktur verursacht haben, bleibt die Ukraine entschlossen, die Energieinfrastruktur nicht nur zu erhalten und zu modernisieren, sondern sie auch an europäische Standards anzupassen. „Egal was Russland macht, wir werden immer das Energiesystem aufrechterhalten“, betonte der ukrainische Energieminister German Galusch-
tschenko. Dezentrale Energiesysteme und erneuerbare Energien spielten dabei eine zentrale Rolle, da sie widerstandsfähiger gegenüber Angriffen sind und langfristig die Versorgungssicherheit gewährleisten können.

Laut Galuschtschenko betrachtet die Ukraine den Wiederaufbau des Energiesektors zudem als Meilenstein auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft. Ein vereinfachter Regulierungsrahmen und Reformen sollen Investitionen erleichtern. Die deutsche Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Svenja Schulze unterstrich die Bedeutung dieser Unterstützung: „Wenn wir jetzt investieren, bringt das die Ukraine auf den richtigen Weg in die Europäische Union.“ Deutschland trage maßgeblich zur Stabilisierung der Energieversorgung bei und fördere nachhaltige Projekte. Trotz der schwierigen Bedingungen zeige die Ukraine Widerstandskraft. Viele zerstörte Anlagen würden bereits wieder aufgebaut, doch der Bedarf an modernen, dezentralen Lösungen bleibe hoch.

Die anwesenden Unternehmensvertreter wie Maxim Timtschenko (DTEK), Monika Beck (DEG Invest), Olga Kovalchuk (GOLDBECK SOLAR Investment Ukraine GmbH) und Oleh Pavlenko (NPC Ukrenergo) machten deutlich, dass Investitionssicherheit, der Zugang zu Kapital und finanzielle Anreize entscheidend seien, um den Energiesektor zukunftsfähig zu machen. Anna Zamazeeva, Leiterin der Staatlichen Behörde für Energieeffizienz und Energieeinsparung der Ukraine SAEE, wies auf das große Potenzial für Investitionen in Energieeffizienz hin.

Rüstungskooperation: Von der Ukraine lernen

Nachdem im Verlauf des Tages bereits viel von Sicherheit, Verteidigung und Rüstung die Rede war, ging es im Abschlusspanel um innovative Ansätze und gemeinsame Initiativen, die die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine im Verteidigungsbereich vorantreiben könnten. Oleksandr Kamyshin, Sicherheitsberater des ukrainischen Präsidenten, und Vadym Yunyk, Präsident der Tech Force UA, warben für einen Beitritt Deutschlands zu einer internationalen Rüstungsinitiative, der sich bereits Länder wie Kanada, Dänemark und Norwegen angeschlossen hätten. Der ukrainische Rüstungssektor sei aktuell in der Lage, dreimal mehr zu produzieren, als die ukrainische Regierung finanzieren könne. Mit internationalem Geld könne der Sektor stärker ausgelastet werden und auch Waffen für die NATO-Länder produzieren, damit diese ihre Aufrüstungsziele einhalten könnten. Marcus Faber (FDP), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Bundestags, unterstützte die Idee ausdrücklich. Es sei dann Sache der neuen Bundesregierung, über eine Beteiligung zu entscheiden.

In der Diskussionsrunde mit ukrainischen und deutschen Vertretern wurde auf bestehende, erfolgreiche Kooperationen im Rüstungssektor hingewiesen. So kooperiert der bayerische Drohnenhersteller Quantum Systems bereits erfolgreich mit ukrainischen Partnern und hat eine lokale Produktion mit 60 Mitarbeitern aufgebaut. Auch das deutsch-schweizerische Unternehmen Global Clearance Solutions, das technische Lösungen für Kampfmittelbeseitigung anbietet, setzt auf Know-how-Transfer und den Ausbau von Service und Produktion in der Ukraine.

Deutlich wurde nicht nur in dieser Diskussionsrunde, dass die Ukraine ein wichtiger Pfeiler der europäischen Sicherheit werden kann. Es sei wichtig, dass Deutschland insbesondere in Bezug auf Effizienz und Organisation der Rüstungsindustrie einiges von der Ukraine lerne. Und langfristig könne die Ukraine eine starke Rüstungsindustrie und eine der größten und erfahrensten Armeen Europas mit in NATO und EU einbringen.

Christian Himmighoffen, Vanessa Ottmüller, Andreas Metz
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Kontakt

Andreas Metz
Leiter Public Affairs
T. +49 30 206167-120
A.Metz@oa-ev.de

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