
In der Ukraine herrscht infolge des Krieges ein zunehmender Arbeitskräftemangel. Die Zahl der Arbeitskräfte im Land ist allen von 2021 auf 2022 von 17,4 auf 14,6 Millionen Menschen um fast drei Millionen gesunken. Zum einen sind zahlreiche Arbeitskräfte, mehrheitlich Frauen, nach Westen geflohen und befinden sich auch zweieinhalb Jahre nach Kriegsbeginn weiter im Ausland. Zusätzlich müssen viele Männer Militärdienst leisten oder jederzeit damit rechnen, zur Armee eingezogen zu werden, wenn sie im Alter von 25 bis 60 Jahren sind. Unternehmen in der Ukraine stehen aufgrund dieser Aussichten vielfach vor der Frage, wie sie zumindest die für ihre Geschäftstätigkeit dringend erforderlichen Fachkräfte vor einer Mobilisierung zum Militärdienst bewahren können.
Der Fachkräftemangel sei zu einem Risikofaktor für die Erholung der Wirtschaft in der Ukraine geworden, wie Luisa Santos, stellvertretende Generaldirektorin von Business Europe und Mitglied der Arbeitsgruppe „People&Skills“ des Business Advisory Councils, die G7+-Länder in Wiederaufbaufragen beraten soll. Ähnlich äußerte sich Per Brodersen, Geschäftsführer der German Agribusiness Alliance, der gerade erst von einer Reise zu Agrarunternehmen in der Westukraine zurückgekehrt war.
Kateryna Tsvetkova, Partnerin bei Golaw, zeigte in ihrem Vortrag bestehende Ansatzmöglichkeiten für Unternehmen auf, Arbeitskräfte von der Mobilisierung freizustellen. Um den dazu notwendigen Status eines Unternehmens zu erhalten, das für das Funktionieren der Wirtschaft von entscheidender Bedeutung ist, müsse das Unternehmen mindestens drei von acht Kriterien erfüllen:
Erfüllt ein Unternehmen mindestens drei dieser oben aufgeführten Kriterien, könne das Unternehmen einen Antrag bei den relevanten Ministerien oder der staatlichen Militärverwaltung einreichen. Trotz eines offiziellen Zeitrahmens für die Prüfung des Antrags von zehn Arbeitstagen, werden diese Fristen häufig nicht eingehalten, eine Prüfung könne durchaus Monate dauern.
Den Antrag auf Arbeitnehmerreservierung könnten Unternehmen entweder in Papier- oder elektronischer Form bei den zuständigen staatlichen Behörden oder über das staatliche Diia-Portal einreichen. Das Diia-Portal gilt als großer Fortschritt, um Anträge digital abzuwickeln. Hierbei sei zu beachten, dass allgemein nicht mehr als 50 Prozent der militärpflichtigen Angestellten reserviert werden könnten. Ausnahmen davon gibt es etwa für Unternehmen im Brennstoff- und Energiesektor sowie Unternehmen, die bedeutende internationale technische Hilfsprojekte umsetzen.
Zu den Voraussetzungen für die Reservierung von Fachkräften gehört zudem, dass diese beim zuständigen territorialen Rekrutierungs- und Sozialunterstützungszentrum (TCR) registriert sind sowie ein gültiges Militärregistrierungsdokument besitzen. Aktuelle Informationen über die Arbeitskraft müssen im einheitlichen staatlichen Register der Wehrpflichtigen und Reservisten (Oberig) erfasst sein und der Mitarbeiter muss seine militärischen Meldedaten fristgerecht (das heißt bis zum 16.07.2024) gemäß den Anforderungen des neuen Mobilmachungsgesetzes aktualisiert haben.
Zu weiteren Herausforderungen, die von den weiteren Experten - Marta Nechayeva, HR Direktor bei Bayer Ukraine, Viktoriia Chubko, Legal Counsel bei GCS Ukraine LLC und Dario Rasch, CEO der Rasch GmbH & Co. KG - in der Online-Runde diskutiert wurden, zählen etwa das Fehlen eines sicheren Mechanismus` zur Aktualisierung von Militärdokumenten von Angestellten, Verzögerungen und bürokratische Hürden bei der Bearbeitung von Reservierungsanträgen sowie ständige Änderungen der gesetzlichen Regelungen zum Reservierungsverfahren. Es bleibt die Hoffnung auf weitere gesetzliche Anpassungen und eine stärkere Digitalisierung, um die Belastungen für Unternehmen weiter zu verringern. Es wird erwartet, dass die Zusammenarbeit zwischen dem privaten Sektor und der Regierung weiter intensiviert wird, um schnellere und effizientere Prozesse zu ermöglichen.
Nach Angaben von Elisabeth Nechytailo, AHK Ukraine, arbeitet die Kammer in Kyjiw aktuell gemeinsam mit Unternehmen und der Regierung an einem Positionspapier, um klare und transparente Richtlinien für die Reservierung von Mitarbeitenden zu erreichen.
Insgesamt, so das Fazit, hat die ukrainische Regierung mit dem Diia-Portal den Reservierungsprozess tatsächlich bereits vereinfachen können. Trotz einiger Hürden wie Gesetzesänderungen und bürokratischer Probleme profitierten viele Unternehmen von den digitalen Verbesserungen.
Vanessa Ottmüller
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
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