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Erdgasmarkt in der Coronakrise

Gas für Europa: Die Anlandestation der Nord-Stream-Pipeline in Deutschland Foto: Nord Stream AG
25.05.2020
Verbrauch und Nachfrage sind erheblich gesunken

Wie der Ölmarkt bekommt auch der Erdgasmarkt die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise stark zu spüren. Der Verbrauch und damit die Nachfrage sind erheblich gesunken. Zudem setzen ungewöhnlich volle Speicher in Europa (der Füllstand lag Mitte April insgesamt bei über 60 Prozent im Vergleich zu rund 48 Prozent zum Vorjahreszeitpunkt) sowie der rekordwarme Winter den Preis schon vorher unter Druck. Die vorliegende Analyse versucht die möglichen Auswirkungen der Preisentwicklung auf die russische Gaswirtschaft sowie auf die allgemeine wirtschaftliche Situation in Russland nachzuzeichnen.

Aktuelle Preisentwicklung

Die Nachfrage nach Gaslieferungen ging in Deutschland von Mitte März bis Mitte April 2020 im Vorjahresvergleich um drei Prozent, in den Niederlanden um sieben Prozent zurück. Während die Nachfrage von Erdgas zur Wärmeerzeugung von Seiten der privaten Haushalte aufgrund der Lockdown-Maßnahmen in fast allen Ländern leicht stieg, ist der Rückgang insbesondere mit der schwächeren Nachfrage aus der Industrie und insbesondere von Seiten der Energieerzeuger verbunden.

Dramatisch fiel der Preis für Flüssiggas (LNG). An den Spotmärkten in Europa und Asien konnte US-LNG zuletzt nicht einmal die Selbstkosten erzielen. Die Förderkosten für Shale-Gas in den USA liegen bei 1,80 - 2,00 US-Dollar pro MMBtu . Hinzu kommen 15 Prozent Kosten für die Verflüssigung und ca. 1 USD/MMBtu für den Transport nach Europa. Damit liegen die Gesamtkosten für US-LNG bei etwa 2,25 - 3 US-Dollar/MMBtu. Dies entspricht 85 - 105 US Dollar für 1000 m³, ohne Regasifizierungskosten in Europa. Die Spotpreise lagen jedoch im April in Europa (niederländischer Hub TTF) nur bei 1,95 US-Dollar/MMBtu und in Asien sogar nur noch bei 1,75 US-Dollar/MMBtu. Da aber die LNG-Transport- wie auch die Verflüssigungskapazitäten langfristig gebucht (und bezahlt) sind, kommt LNG dennoch nach Europa und drückt die Spotpreise.

Ende April lag der Preis für russisches Gas an den westeuropäischen Hubs unter dem russischen Inlandspreis, sogar wenn dabei die 30-prozentige russische Exportsteuer und die Transportkosten berücksichtigt werden.  In Großbritannien lag der Preis für russisches Gas bei 43 US-Dollar/1000 m³ (NBP), in den Niederlanden bei 67 US-Dollar/1000m³ (TTF). Einen Monat zuvor hatten die Preise noch bei 100 bzw. 95 US-Dollar gelegen. Der Gaspreis in Smolensk (Westgrenze Russlands) lag Ende April bei 60 US-Dollar/1000 m³, am Hub NCG in Deutschland betrug er 86 US-Dollar. Abzüglich der Exportsteuern (25 US-Dollar) und Transportkosten ab der russischen Grenze nach Deutschland (40 US-Dollar) betrug der Erlös (Netback) damit lediglich 21 USD/1000 m³. Damit war der Gaspreis in Westeuropa so niedrig, dass der Inlandsverkauf in Russland finanziell günstiger als der Gasexport war – eine einmalige Situation.

Verschärfte Marktverteilungskämpfe

Es ist folglich eine stärkere Konkurrenz auf dem innerrussischen Gasmarkt zu erwarten, dessen Preise staatlich reguliert sind. Innerhalb Russlands ist Gazprom unangefochtener Marktführer; nur rund 25 Prozent werden durch Rosneft, NOVATEK und kleinere Gasgesellschaften abgedeckt.

Im Budget Russlands für 2020 war ursprünglich ein Export-Gaspreis von rund 200 US-Dollar geplant. Anfang Februar korrigierte Gasprom den Jahresdurchschnittspreis nach unten, auf 175 - 186 US-Dollar, später auf 133 US-Dollar, wobei auch Preise von 70 US-Dollar im Sommer nicht ausgeschlossen werden. Fitch prognostiziert einen Jahresdurchschnittspreis in Europa von 100 US-Dollar. Dies ist ein Preis, der das LNG-Angebot stark unter Druck setzt, aber auch pipelinegebundenes Gas von Anbietern wie Gazprom.

Aktuell steht der russische Exportmonopolist für Pipelinegas Gazprom noch preislich besser da. Der durchschnittliche Preis für russisches Pipelinegas wird einerseits durch bestehende Langfristverträge und andererseits durch die Bindung an den Erdölpreis (mit ca. 6-monatiger Verzögerung) mit 130 - 150 US-Dollar erwartet. Rund ein Drittel der europäischen Gasverträge von Gasprom sind ganz oder teilweise an den Ölpreis oder einen Korb von Ölprodukten gekoppelt. Hier wirkt sich der Preisverfall am Ölmarkt erst im Sommer aus. Darüber hinaus bestehen für rund 150 Mrd. m³ „take-or-pay“ Klauseln bei Pipelinegas, die Gazprom relativ berechenbare Einnahmen sichern.

Das Überangebot von Erdgas verschärft die Marktverteilungskämpfe. So ging bereits 2019 der Import von russischem Pipelinegas in die Türkei trotz Fertigstellung der langwierigen und strategisch wichtigen Turkish-Stream-Pipeline um etwa 40 Prozent zurück, während LNG-Importe aus den USA stark stiegen und der Gasimport aus Aserbaidschan konstant blieb.

Die Preise der Langfristverträge lagen im April 2020 deutlich über den Spotpreisen für LNG, so dass viele Abnehmer in Westeuropa diese Möglichkeiten zum Ausweichen auf LNG nutzten. Für den Sommer 2020 wurden jedoch bereits Bestellungen für amerikanisches LNG reduziert.

Gleichwohl werden die Exporterlöse von Gazprom 2020 insgesamt aber wesentlich zurückgehen. Die Exporterlöse halbierten sich nach Angaben des russischen Zollkomitees bereits im Januar bis Februar 2020 im Vorjahresvergleich auf 5 Mrd. US-Dollar. Der physische Gasexport ging dabei um knapp 25 Prozent auf 32,5 Mrd. m³ zurück. Für das gesamte Jahr 2020 wird ein Rückgang des physischen Gasexports nach Europa von 17 Prozent erwartet (166 Mrd. m³). Zusammen mit dem prognostizierten Preisrückgang würden sich 50 Prozent Mindereinahmen aus dem Export auf den für Gazprom rentabelsten, europäischen Markt, ergeben.

Auch die mit dem Ölpreisverfall einhergehende Rubelabwertung belastet Gazprom, da 85 Prozent seiner Schulden in westlichen Devisen notiert sind, was zu einem um 20 Prozent höheren Schuldendienst führt. Insgesamt rechnet Gazprom für 2020 mit 20 Mrd. US-Dollar Mindereinnahmen.

Auf der anderen Seite wird im Laufe des Jahres 2020 das Angebot an Begleitgas aus der Ölförderung mit deren Reduzierung ebenfalls zurückgehen, was den Druck auf den Gasmarkt abschwächt. Der geringe Gaspreis wird auch zu einer Reduzierung der Shalegas-Förderung in Nordamerika führen. Der stetige Rückgang der Gasförderung in der EU führt zudem zu wachsender Nachfrage nach Gasimporten.

Belastend für Gazprom ist, dass trotz des deutlichen Nachfragerückgangs Anfang 2020 in Europa die vereinbarten Transitverträge mit ihren „ship-or-pay“-Klauseln bestehen bleiben, Gazprom also für nicht genutzte Transitmengen dennoch Gebühren zahlen muss. Die entsprechende Absicherung durch „take-or-pay“-Klauseln mit den Abnehmern wurden EU-seitig aufgehoben. Dadurch ist es für Gazprom ökonomisch durchaus sinnvoll, Erdgas trotz geringerer Nachfrage auf den europäischen Markt zu bringen und den Wettbewerb hier zu verschärfen. Entsprechend bringt Gazprom aktiv zusätzliche Mengen über seine elektronische Handelsplattform ETP auf den europäischen Markt - im April 2,2 Mrd. m³ zu einem durchschnittlichen Preis von 97 US-Dollar/1000 m³.

Ausblick

Die Nachfrage nach Gasimporten in Europa dürfte sich im Einklang mit der wirtschaftlichen Erholung der Industrie nach dem Lockdown entwickeln. Schon seit 2014 wuchs die Nachfrage von Jahr zu Jahr an, befördert durch die Dekarbonisierungspolitik der EU-Länder, durch die die Nutzung von Kohlestrom unter Druck gerät, sowie durch den Rückgang der Eigen-Gasförderung in Westeuropa.

Von großer Bedeutung für die künftige Flexibilität russischer Gasexporte ist der geplante Bau der Pipeline „Power of Siberia - 2“ („Sila Sibiri – 2“), die die Pipeline-Infrastruktur für die europäischen und asiatischen Exportmärkte verbinden soll. Letztere werden bisher vorwiegend von Australien und Katar mit LNG beliefert. Russland (Gazprom) wird nach Fertigstellung dieses Projekts frühestens ab 2030 die Nachfrageunterschiede zwischen den beiden Großmärkten besser ausbalancieren können.

Spannend bleibt die Frage, ob der Gaspreisverfall die Pläne einer Gas-OPEC zur Ausbalancierung des Marktes wieder befördert. Einen starken Impuls dafür könnte es insbesondere im Sommer geben, wenn die Nachfrage saisonbedingt weiter sinkt und die Weltwirtschaft noch nicht die Nachfrage kräftig gesteigert hat. In dieser Zeit wirkt sich auch der Ölpreisverfall seit März auf den Preis für Pipelinegas aus, was insbesondere Gazprom als Monopolist für den Gasexport per Pipeline belastet.

Ansprechpartner

Dr. Martin Hoffmann
Direktor Strategie und Research
Tel.: 030 206167-126
M.Hoffmann@bdi.eu

Andreas Metz
Leiter Presse und Kommunikation
Tel.: 030 206167-120
A.Metz@bdi.eu

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