Die Dynamik Polens ist beeindruckend. Das betrifft nicht bloß die Handelszahlen oder das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in den letzten Jahren. Polen ist mittlerweile Deutschlands fünftgrößter Handelspartner. Beim Blick aus dem Fenster der 43. Etage des Varso-Tower, wo die Berater von CMS firmieren, wird einem schlagartig klar, wie sehr sich Warschau, wie sehr sich Polen in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert und weiterentwickelt hat. Neben Hochhausfassaden aus Glas und Stahl, die man überall auf der Welt finden kann und die die neue Skyline der Stadt prägen, erinnert ein leicht monströses Relikt noch an die sozialistische Vergangenheit. Eine deutsche Wirtschaftsdelegation, organisiert und begleitet durch den Ost-Ausschuss, wollte Mitte Februar erkunden, wie es bei aller Dynamik um die Grüne Transformation im Land steht.
Die heterogene Gruppe aus Vertreterinnen und Vertretern von Großkonzernen, großen Mittelständlern und kleineren stark spezialisierte Firmen aus allen Industriebereichen vereinte ein sehr großes Interesse an Polen, an der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes unter der neuen Regierung und an den Wegen in eine grünere Zukunft. Auf der Agenda standen Treffen mit dem Geschäftsführer der AHK Polen, Lars Gutheil, dem deutschen Botschafter in Polen, Viktor Elbling, dem Chef der polnischen Wirtschaftsvereinigung Lewiatan, Maciej Witucki, sowie ein Besuch im Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Technologie. Zusammen mit der Teilnahme an einer Veranstaltung zum Thema grüne Transformation in Polen mit Vertretern von Mercedes, E.ON, Ciech Soda Polska und ZE PAK, sowie einem Unternehmensbesuch bei Remondis in Łódź gewann die Delegation einen fundierten Überblick über den Stand und die Perspektiven der Grünen Transformation in Polen.
Ein Blick auf die Karte macht es deutlich. Rot im Norden, dunkelrot im Süden. Die Farben zeigen den Grad der Luftverschmutzung an. Polen ist in Europa in dieser Kategorie trauriger Spitzenreiter. Das liegt vor allem daran, dass Kohle mit über 70 Prozent immer noch der meistgenutzte Energieträger ist. Der Anteil der Erneuerbaren wächst, aber langsam. Die Regierung ist sich des Problems bewusst, schnelle Lösungen sind aber nicht in Sicht. Es fehlt - noch - an Alternativen und Geld. Letzteres steht mit der Freigabe der bisher eingefrorenen Mittel durch die EU-Kommission demnächst in ausreichendem Maß zur Verfügung, immerhin 137 Milliarden Euro. Eine erkleckliche Summe, die man unter anderem für Projekte der Grünen Transformation verwenden will. Doch die Zeit drängt, denn das Geld muss bis Ende 2026 ausgegeben sein, sonst „verfällt“ es.
Ideen gibt es viele. In der polnischen Gesellschaft und der Wirtschaft ist nach Jahren der gefühlten Stagnation unter der Vorgängerregierung der Wille spürbar, sich schnell in Richtung energetischem Wandel zu bewegen. Wie es gehen kann, macht ein deutsches Unternehmen vor: Mercedes-Benz. In seiner Smart Factory in Jawor, 70 Kilometer entfernt von Breslau, werden Motoren und Elektrobatterien hergestellt. Das Werk war die erste CO2-freie Anlage in Polen. Sie ging 2019 in Betrieb. Demnächst werden hier auch rein elektrische Transporter vom Band rollen. Das neue Werk wird mit erneuerbarer Energie aus Wind und Sonne versorgt. So wird der CO2-Fussabdruck deutlich reduziert, die Abhängigkeit von anderen Energiequellen verringert und der Weg in die Elektromobilität geebnet.
Der könnte allerdings steiniger werden als erwartet. Die größte Hürde ist die Infrastruktur. Es fehlt noch an Netzkapazitäten, Ladeinfrastruktur, sauberem Strom und ein bisschen auch dem Bewusstsein in der Bevölkerung. Ein weiteres deutsches Unternehmen hat kräftig in den polnischen Markt investiert. E.ON ist einer der großen ausländischen Investoren im Energiebereich. Das Unternehmen versorgt über eine Million Kunden mit Strom und weitere rund 300.000 Menschen in 29 Städten und Gemeinden mit sicherer Fernwärme.
An der Attraktivität des polnischen Marktes besteht kein Zweifel. Es ist eher die regulatorische Komponente, die die Entwicklung bremst. Denn für ein modern ausgebautes, stabiles und leistungsfähiges Stromnetz sind genauso wie für eine funktionierende und zukunftssichere Wärmeversorgung enorme Summen notwendig. Die werden Unternehmen nur dann investieren, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Beim Stromnetz hat sich in den letzten Jahren Vieles in die richtige Richtung entwickelt. Dennoch reicht die Netzkapazität zum Beispiel im Raum Warschau noch lange nicht aus, um den Bedarf zu decken“, wie Jörn-Erik Mantz, Mitglied des Vorstandes bei E.ON Polska berichtet, „Betreiber großer Datenzentren müssen sich bei Neuansiedlungen gedulden”.
Im Gegensatz dazu führt ein anderer, für die „Grüne Transformation” ebenso wichtiger Bereich noch ein ziemliches Schattendasein – der Fernwärmesektor. Mit 16 Millionen Anschlüssen und einem Versorgungsanteil von 40 Prozent werden in Polen so viele Menschen mit Fernwärme versorgt wie in keinem anderen europäischen Land. Zu über zwei Dritteln kommt die Wärme allerdings noch aus kohlegefeuerten Anlagen. Der komplett regulierte Markt ist ganz auf den Betrieb im Bestand ausgerichtet. Anreize für einen Umstieg auf kapitalintensive, aber dafür langfristig preisstabile und emissionsarme Technologien gibt es kaum. „Polen als das Fernwärmeland schlechthin in Europa steht vor einer riesigen Herausforderung, hat aber eine Riesenchance für eine Vorreiterrolle in Europa“, sagt Mantz „Notwendig ist ein gut abgestimmtes Miteinander zwischen Förderung und innovationsfreundlichem regulatorischem Umfeld. Und da gibt es noch deutliches Entwicklungspotential.“
Der Bus der Delegation fährt auf den neuen, sehr gut ausgebauten Autobahnen vorbei an Logistikzentren, Bürogebäuden, Supermärkten. Auf die Verkehrsinfrastruktur könnte man als Deutscher fast ein bisschen neidisch sein. In Łódź, etwa zwei Autostunden von Warschau entfernt, hat die deutsche Firma Remondis einen weiteren Produktionsstandort zur Wertstoffverarbeitung in Polen eröffnet. Es ist einer von mehr als 50 im Land. Polen ist damit der zweitwichtigste Markt für Remondis weltweit. Besonders auffällig ist, dass sich die wirtschaftlichen Ballungsräume, ähnlich wie in Deutschland, fast über das ganze Land verteilen.
In einer nagelneuen Produktion werden hier Haushaltsabfälle recycelt und entweder zur Deponieabdeckung verwendet oder als Brennstoff an die Industrie geliefert. Das Werksgelände liegt inmitten eines Wohngebiets. Die Anwohner stört das offenbar nicht, denn anders als erwartet, riecht es hier nicht. Mit Hilfe modernster Technologien werden die Abfälle biologisch aufbereitet und ihrer weiteren Verwendung zugeführt. Unternehmen und Stadt arbeiten dabei Hand in Hand. Das wird auch in einer bemerkenswerten Aussage des stellvertretenden Bürgermeisters Adam Pustelnik deutlich: „Das deutsche Arbeitsethos und die Transparenz der deutschen Firmen haben mit dazu beigetragen, dass es kaum noch nennenswerte Korruption gibt.“ Quasi als Nebeneffekt hat sich die einstmals sehr hohe Arbeitslosigkeit durch die Ansiedlung vieler deutscher und anderer internationaler Firmen seit den früheren 1990er Jahren auf ein kaum noch messbares Niveau verringert.
Sicher kann man in den knapp drei Tagen einer Wirtschaftsdelegationsreise nur ansatzweise verstehen, welche Entwicklungen sich in Polen abspielen. Eines wird aber überdeutlich: Polen, dessen EU-Beitritt sich dieses Jahr zum 20. Mal jährt, ist einer der wichtigsten und potentesten Wirtschaftspartner Deutschlands in Europa, offen für neue Investitionen und Ideen und auf jeden Fall ein hochattraktiver Markt für deutsche Firmen, die sich für Grüne Transformation interessieren. Rund 6.000 deutsche Firmen sind bereits auf dem polnischen Markt aktiv, weitere dürften folgen. Denn deutsche Unternehmen sind wieder vorbehaltlos willkommen „Das Deutschland-Bashing ist vorbei“, so formulierte es ein Gesprächspartner.
Jens Böhlmann
Direktor Grüne Transformation
Jens Böhlmann
Direktor Mittelstand
Grüne Transformation
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