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Offener Dialog mit Viktor Orbán

Ost-Ausschuss Vorstand Haußmann (2. V. re.) und AHK-Präsident Sávos (Mitte) begrüßten Premier Orbán zum Wirtschaftsforum. Foto: Steffi Rettinger
10.10.2022
Ungarns Ministerpräsident auf dem Wirtschaftsforum Ungarn in Berlin/ Sorgen um Rechtssicherheit und Ungarns Rolle in Europa 

Im Rahmen seines Berlin-Besuchs nahm der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán am 10. Oktober am Wirtschaftsforum Ungarn teil, das der Ost-Ausschuss gemeinsam mit der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (AHK) und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) organisierte. Begleitet wurde der Regierungschef von einer hochrangigen ungarischen Delegation, zu der der auch Außenminister Péter Szijjártó und Industrieminister László Palkovics gehörten. Orbán nutzte die Gelegenheit, vor über 150 Unternehmensvertretern aus Deutschland und Ungarn die Grundsätze seiner Wirtschaftspolitik zu skizzieren, stellte sich aber auch den teils kritischen Fragen der deutschen Wirtschaft. Begrüßt wurde die ungarische Delegation von Ost-Ausschuss-Vorstand Philipp Haußmann (Ernst Klett AG), AHK-Präsident Andras Sávos (Knorr Bremse AG) und Volker Treier, Außenwirtschaftschef und Mitglied der Hauptgeschäftsführung des DIHK.

Lob und Kritik für die ungarische Wirtschaftspolitik

Begrüßt wurde der Ministerpräsident von Ost-Ausschuss-Vorstand Philipp Haußmann (Ernst Klett AG), der die Rolle Ungarns beim Fall des Eisernen Vorhangs, der deutschen Wiedervereinigung und der Integration Mittel- und Osteuropas in den Binnenmarkt sowie in die Rechtsordnung der Europäischen Union würdigte. Deutsche Unternehmen hätten in den vergangenen gut 30 Jahren über 18 Milliarden Euro in Ungarn investiert und dadurch rund 300.000 teils hochqualifizierte Arbeitsplätze geschaffen. Rund ein Viertel des ungarischen Außenhandels entfalle inzwischen auf Deutschland. „Diese enge deutsch-ungarische Wirtschaftspartnerschaft hat zusammen mit den EU-Transfers zu einem atemberaubenden Aufholprozess Ungarns beigetragen“, betonte Haußmann. „Für die deutsche Wirtschaft ist Ungarn in den vergangenen 30 Jahren zu einem der wichtigsten Wirtschaftspartner und Industriestandorte weltweit geworden.“

Insbesondere für die deutsche Autoindustrie ist Ungarn ein Schlüsselpartner: Eine ganze Reihe deutscher Hersteller und Zulieferer baut derzeit ihr Engagement in Ungarn weiter aus. „Wir sehen gerade jetzt, dass der Standort Ungarn durch neue Investitionen den nächsten Schritt bei der Entwicklung der Autoindustrie macht und dabei zunehmend auf Zukunftsthemen wie Elektromobilität und autonomes Fahren setzt“, sagt Haußmann.

Offen sprach der Ost-Ausschuss-Vorstand aber auch kritische Themen im bilateralen Verhältnis an. Sorgen mache deutschen Investoren die Entwicklung in Branchen wie Einzelhandel, Telekommunikation, Banken und Baustoffindustrie, in denen die Regierung Orbán „nationale Champions“ schaffen will. „Immer mehr deutsche Unternehmen haben den begründeten Verdacht, in diesen strategischen Branchen nicht mehr so richtig willkommen zu sein“, sagt Haußmann mit Blick auf Sondersteuern, nicht erteilte Genehmigungen und die fehlende Gleichbehandlung mit einheimischen Unternehmen. „Wir als deutsche Wirtschaft wünschen uns ein Ungarn, in dem sich nicht nur die Autobranche, sondern alle deutschen Unternehmen weiterhin zu Hause fühlen“, so Haußmann. Ungarn habe aktuell die große Chance, von der weltweiten Neuordnung der Wertschöpfungsketten zu profitieren, die die Corona-Krise und der russische Krieg gegen die Ukraine befördert habe.

Schnelle Einigung mit der EU-Kommission gewünscht

Haußmann warb daher auch für eine schnelle Einigung Ungarns mit der EU-Kommission in Fragen der Rechtsstaatlichkeit. „Investitionssicherheit, faire Ausschreibungsverfahrung und rechtsstaatliche Rahmenbedingungen sind Grundvoraussetzungen für das Engagement ausländischer Unternehmen, auch in Ungarn“, betont der Ost-Ausschuss-Vorstand. Dies sei auch wichtig, damit zurückgehaltene EU-Mittel an Ungarn ausgezahlt werden könnten. Haußmann unterstrich, dass die deutsche Wirtschaft hinter den EU-Russlandsanktionen stehe, die Ungarn kritisch sieht. „Wir dürfen uns angesichts der gewaltigen Herausforderungen von niemandem – auch nicht vom russischen Präsidenten - auseinanderdividieren lassen“, sagte Haußmann. 

AHK-Präsident Andras Sávos warb anschließend in seinem Grußwort für eine enge deutsch-ungarische Zusammenarbeit bei Energie und Nachhaltigkeit, Digitalisierung und im Fahrzeugbau, in dem es bereits erfolgreiche Kooperationen und gemeinsame Kompetenzen gebe. Eine große Herausforderung sei die Sicherung des Fachkräftenachwuchses, der nur durch qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildung gewährleistet werden könne.

Orbán: „Keine Überraschungen in der ungarischen Wirtschaft“

Orbán verteidigte in seiner Rede das Ziel seiner Regierung, eine ungarische Mehrheit in strategischen Branchen zu sichern. Dies sei eine Lehre aus der Finanzkrise von 2008/2009. „Es ist unmöglich, dass nicht 50 Prozent der Banken und 50 Prozent der Energie in nationaler Hand sind“, sagte er. Ausländische Eigentümer würden zunächst an ihr Heimatland denken. So hätten die ausländischen Banken in der Finanzkrise ihr Geld aus Ungarn abgezogen. Orbán betonte, dass es viele Vereinbarungen mit deutschen Unternehmen zur Kooperation etwa im IT-, Telekom- und Energiesektor gebe. „Es gibt keine Überraschungen in der ungarischen Wirtschaft“, sagte Orbán. „Wir sagen genau, welche langfristigen Pläne wir haben. Nichts ist versteckt, wir geben ehrliche Antworten.“ Immerhin gebe es 6.000 deutsche Unternehmen in Ungarn, die 300.000 Familien Lohn und Brot gäben.

Der Ministerpräsident erläuterte zudem das „ungarische Modell“, mit dem seine Regierung seit 2010 auf die strukturellen Krisen Europas reagiere. Dieses Modell beruhe auf konservativen gesellschaftlichen Grundannahmen, ähnlich wie die Politik von Bundeskanzler Helmut Kohl. Der Wohlfahrtsstaat sei ein Resultat harter Arbeit, bei dem das Geld erst erwirtschaftet werden müsse: „Wir setzen auf workfair statt welfare“, sagte Orbán. Zu den weiteren wirtschaftlichen Grundlagen des „ungarischen Modells“ gehöre die niedrige Steuerlast. Orbán verteidigte auch seine Politik der Abschottung. Offene EU-Außengrenzen gefährden seiner Ansicht nach den Bestand des Schengen-Raumes und eines offenen EU-Binnenmarkts.

Angesichts der globalen Herausforderungen und der drohenden Rezession in Europa werde sein Land weiter auf Entwicklung, Bildung und Technologie setzen. Im Vordergrund stehe dabei die Förderung von Investitionen. Orbán bot deutschen Investoren in seinem Land politische, physische und Energiesicherheit an. Die Energieversorgung Ungarns will Orbán dabei bewusst mit Hilfe Russlands sichern. So wurde mit Gazprom ein langfristiger Vertrag über neue Gaslieferungen über die Pipeline Turkstream abgeschlossen. Zudem ist mit russischer Beteiligung ein neues Atomkraftwerk im Bau. „Ungarn ist nicht perfekt, aber wer mit uns zusammenarbeitet, kommt dabei gut weg“, schloss Orbán

Im Anschluss an seine Rede nahm sich der ungarische Premier noch Zeit, Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Moderiert wurde der Dialog mit der Wirtschaft von DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Themen waren unter anderem Arbeitsmigration, Bildung und Ausbildung sowie die von der ungarischen Regierung erhobene Zusatzsteuern, die ausländische Unternehmen in einzelnen Branchen wie der Baustoffindustrie erheblich belasten.

Ökosystem für Investoren

An der abschließenden Podiumsdiskussion, die von Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms moderiert wurde, nahmen neben den beiden Ministern und Ost-Ausschuss-Vorstand Haußmann auch Hans-Peter Kemser, Leiter des BMW-Werks in Debrecen, und Thomas Spannagl, CEO von Schwenk Zement teil, deren Unternehmen in Ungarn aktiv sind. BMW hat gerade erst den Grundstein für ein neues Werk in Debrecen gelegt, das schon in der Planungsphase mit Computersimulationen aus der Games-Branche visualisiert wird Die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien in der Autoindustrie und anderen Branchen stand dann auch im Mittelpunkt der Diskussion. Größte Herausforderung sei dabei laut Minister Palkovicz nicht so sehr Technologie und Automatisierung, sondern die Sicherung der Energieversorgung etwa durch grüne Energien. Minister Palkovicz betonte, dass es heute nicht mehr darum gehe, bestimmte einzelne Rahmenbedingungen für Investitionen anzubieten. „Ungarn muss ein komplexes Ökosystem für Unternehmen schaffen“, sagte er. Die deutsche Wirtschaft machte auf dem Forum deutlich, dass dazu auch diskriminierungsfreie rechtliche Rahmenbedingungen und eine enge Anbindung an die EU gehören.

Christian Himmighoffen
Leiter Presse und Kommunikation

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Christian Himmighoffen
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