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„Die deutsche Wirtschaft steht an der Seite der Ukraine“

Der stellvertretende Ost-Ausschusses Vorsitzende Christian Bruch (2.v.li.) mit Präsident Selenskyj und Bundeskanzler Merz. Foto: Jens Schicke/DIHK
15.12.2025
Präsident Wolodymyr Selenskyj und Bundeskanzler Merz beim Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin/ 500 Gäste aus Wirtschaft und Politik beider Länder

Mit einer Schweigeminute für die Opfer des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine begann am 15. Dezember in Berlin das 8. Deutsch-Ukrainische Wirtschaftsforum unter dem Motto „Resilience in Action – Partnership in Progress“. Die Konferenz war unversehens zu einem Teil der intensiven diplomatischen Bemühungen um eine Friedenslösung geworden, die mit zahlreicher Politprominenz zeitgleich in Berlin stattfanden und im Zentrum der Hauptstadt für höchste Sicherheitsvorkehrungen sorgten.

Die Veranstalter, der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) und die Deutsch-Ukrainische Industrie- und Handelskammer (AHK Ukraine), konnten rund 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Haus der Deutschen Wirtschaft begrüßen. Höhepunkt des ganztägigen Programms war der Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der gemeinsam mit Bundeskanzler Friedrich Merz und knapp 30-minütiger Verspätung am Abschlussteil der Konferenz teilnahm.

Berlin – Hauptstadt der Diplomatie

Der Auftritt der beiden Spitzenpolitiker fand zu einem kritischen, möglicherweise entscheidenden Zeitpunkt statt: Seit November laufen unter Federführung der USA kontroverse Diskussionen über Vorschläge zur Beendigung des russischen Krieges gegen die Ukraine. Am Vortag und am Tag der Konferenz versuchten die Ukraine, Europäer und die USA in Berlin zu einem gemeinsamen Friedensplan zu kommen, der anschließend Russland übergeben werden könnte. Dazu gehört auch ein Konzept zur weiteren Nutzung eingefrorener russischer Zentralbankgelder für die Ukraine, das die EU auf ihrem Gipfeltreffen am 18. Dezember 2025 in Brüssel verabschieden möchte.

Bruch: „Einheit, Solidarität und entschlossene Unterstützung“

Christian Bruch, stellvertretender Vorsitzender des Ost-Ausschusses und CEO von Siemens Energy, der die Konferenz gemeinsam mit DIHK-Geschäftsführerin Helena Melnikov, und AHK-Präsident Oliver Gierlichs (Bayer), eröffnete, begann mit einer klaren Botschaft: „Von diesem Wirtschaftstag muss ein starkes Signal ausgehen: Einheit, Solidarität und entschlossene Unterstützung – getragen von Politik und Wirtschaft.“ In seiner zweiten Rede am Nachmittag machte Bruch, der auch Mitglied im internationalen Business Advisory Council für die Ukraine ist, in Anwesenheit von Merz und Selenskyj konkrete Vorschläge, um deutschen Unternehmen das Geschäft in der Ukraine zu erleichtern. Dazu gehörten die Anhebung der Absicherung von Investitionen durch Bundesgarantien auf 100 Prozent, differenziertere Reisewarnungen der Bundesregierung für die Ukraine, um Geschäftsreisen zu erleichtern, sowie fairere und transparentere Ausschreibungen in der Ukraine. „Deutschland ist größter europäischer Geber – doch deutsche Firmen verlieren gegen Anbieter aus China oder der Türkei“, sagte Bruch. „Ausschreibungskriterien müssen Qualität und europäische Standards stärker gewichten.“ Er kündigte zudem eine Ausbildungsinitiative deutscher Energieunternehmen für die Ukraine an, um dort den Einsatz westlicher Technik zu erleichtern und die bilaterale Partnerschaft weiter zu vertiefen. Die geplante Energy Training Academy dient der Ausbildung von Fachkräften und dem Wissenstransfer im Energiesektor. „Die deutsche Wirtschaft handelt“, sagte Bruch. „Wir stehen fest an der Seite der Ukraine - für ein starkes, sicheres und zukunftsfähiges Europa.“

Selenskyj: „Die europäische Einigkeit hilft uns, die Gerechtigkeit wiederzuerlangen“

In einer emotionalen Rede bedankte sich der ukrainische Präsident für das Engagement der deutschen Wirtschaft in seinem Land und betonte gleichzeitig, dass es nicht nur um Hilfe gehe, sondern dass die Ukraine als Technologiepartner der europäischen Wirtschaft auch einiges anzubieten habe. Beispielgebend dafür sind Kooperationen im Rüstungsbereich wie etwa eine gemeinsame Produktion ukrainischer Drohnen in Deutschland, die auf der Konferenz angekündigt wurde. „Unsere Resilienz, nach russischem Beschuss immer wieder aufzustehen, russische Raketen abzufangen, aber auch zurückzuschlagen – das sind auch unsere Argumente in diplomatischen Prozessen“, so Selenskyj.

Bezüglich der laufenden Friedensverhandlungen unterstrich der Präsident, dass es darum gehe, dass ein Friede „gerecht“ sei und die „Würde der Ukraine“ wahre. Mit Blick auf Russland betonte er: „Wir dürfen nicht vergessen, woher der Krieg kam. Die europäische Einigkeit hilft uns, die Gerechtigkeit wiederzuerlangen.“ Seine Hoffnungen setzt Selenskyj, der den Bundeskanzler nach seiner Rede herzlich umarmte, nicht zuletzt auf Deutschland. Deshalb sei es sehr wichtig, dass auch die Bundesregierung jetzt die Initiative zur Nutzung in der EU eingefrorener russischer Zentralbankgelder für die Ukraine unterstütze.

Merz: „Das Schicksal der Ukraine ist das Schicksal von ganz Europa“

Die Lösung dieser Frage im Rahmen des anstehenden EU-Gipfels in Brüssel und die Sicherstellung der weiteren Finanzierung der Ukraine, nannte Bundeskanzler Merz sogar eine „Schlüsselfrage“ für die Handlungsfähigkeit der EU. Diese werde sonst „massiv beschädigt“. Es sei der EU bereits gelungen, das russische Staatsvermögen zu demobilisieren. Mit einer Nutzung für die Ukraine sende man ein starkes Signal an Moskau, dass die Fortsetzung des Krieges sinnlos sei. „Das Schicksal der Ukraine ist das Schicksal von ganz Europa“, so Merz, der sich stellvertretend bei Ost-Ausschuss-Vorstandsmitglied Christian Bruch für die Ausrichtung der Wirtschaftskonferenz bedankte. Diese sei „sozusagen der Auslöser“ für die umfangreichen Friedensgespräche mit den europäischen und amerikanischen Partnern in Berlin gewesen.

Die Wirtschaftskonferenz nutzte Merz, um deutsche Unternehmen zu ermutigen, weiter in der Ukraine zu investieren. Einen weiteren Anreiz dazu soll das neue Programm „Ukraine Connect“ in einem Umfang von zunächst 45 Millionen Euro schaffen, das Merz und zuvor Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche im Rahmen der Konferenz erstmals vorstellte. Mit den Mitteln sollen zinsgünstige Darlehen insbesondere für Mittelständler finanziert werden, die in der Ukraine investieren wollen.

Außerdem kündigte Merz in seiner Rede für 2026 die Gründung eines „European Flagship Funds“ gemeinsam mit europäischen Partnern an, der privates Kapital für Projekte in der Ukraine mobilisieren soll. Außerdem geplant ist die Gründung einer ukrainischen Institution nach Vorbild der KfW. Die Bundesregierung wolle sich hier ebenso engagieren, wie für die Unterstützung der ukrainischen EU-Annäherung. Angesichts der „Kreativität“ und „Durchhaltefähigkeit“ der Ukrainerinnen und Ukrainer brauche man nicht viel, um sich vorzustellen, dass „das Land ein prosperierendes Stück Europa wird“, so Merz. Zukunftsinvestitionen in die Ukraine seien deshalb auch Investitionen in die Zukunft des europäischen Binnenmarkts: „Sie tun es für die Ukraine, Sie tun es aber auch für Europa. Es lohnt sich auch für Sie und uns alle.“

Drei Diskussionsrunden mit Regierungsvertretern

An insgesamt drei Paneldiskussionen beteiligten sich zuvor neben Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft unter anderem Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche, der ukrainische Wirtschaftsminister Oleksii Sobolev und der Parlamentarische Staatssekretär Johann Saathoff (BMZ). An der Diskussion zur Zusammenarbeit im Verteidigungssektor nahm die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Hanna Hvozdiar teil.

Das erste Panel zum Thema Wirtschaftliche Resilienz und Wiederaufbau, das von Philipp Sweens (HHLA), dem Arbeitskreissprecher Ukraine im Ost-Ausschuss moderiert wurde, machte deutlich: Wer die Ukraine unterstützen und zugleich Chancen nutzen will, muss jetzt handeln. Im Zentrum standen die Rolle des privaten Sektors beim Wiederaufbau und die Frage, durch welche Instrumente er dabei unterstützt werden kann. Vize-Premier Oleksii Kuleba betonte in einer Video-Botschaft: „Die Ukraine bemüht sich, Investitionen schon heute möglich zu machen – etwa durch Absicherungsmöglichkeiten in Kooperation mit der EU.“ Staatssekretär Saathoff unterstrich, wie wichtig Förderung und Einbindung des privaten Sektors seien und verwies auf die enge Zusammenarbeit des BMZ mit dem Ost-Ausschuss zur Unterstützung deutscher Unternehmen.

„Ich sehe noch sehr wenige andere Unternehmen dort“, kritisierte hingegen Franziska Cusumano (Mercedes-Benz Trucks) mit Blick auf die Ukraine. „Man sollte nicht warten.“ Auch Stefan Wintels (KfW) unterstrich die Dringlichkeit vor Ort präsent zu sein: „Solidarität muss sich in Aktivitäten übersetzen.“ Immerhin habe die bundeseigene Wiederaufbaubank bereits 1,6 Milliarden Euro an Krediten vergeben. Hinzu kämen weitere Aktivitäten im privaten Sektor, wie zuletzt die Unterstützung einer Investition in einen Windpark. Entscheidend sei jedoch die „Derisking-Kapazität“, die das unternehmerische Risiko reduziere.

Beispiele wie die des Logistikdienstleisters Nova Global zeigen die Widerstandskraft ukrainischer Firmen: „Das Business in der Ukraine ist durch die Herausforderungen und die europäische Integration reifer geworden“, erklärte Direktor Denys Bazilevych. „Wir wissen, wie man mit europäischen Partnern arbeitet.“ Alexander Tebbe, Gründer von Crowd Ukraine Invest forderte in einer emotionalen Rede von Europa ein „anderes Mindset“ gegenüber der Ukraine: „Dieses Land ist unzerstörbar.“

Verteidigungsindustrie: Schnelle Innovationen unter Zeitdruck

Im zweiten Panel zur „Transformation in der Verteidigungsindustrie“ ging es um die strategische Rolle der Ukraine in der europäischen Sicherheitsarchitektur. Dabei wurde deutlich, dass Europa hier hinsichtlich schneller Innovationen unter Zeitdruck viel von der Ukraine lernen kann. „Wir müssen innovativ sein, damit wir überall in Europa sicher sind“, forderte die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Hvozdiar und verwies auf die Bedeutung einer soliden industriellen Basis für moderne Kriegstechnik.

30 Prozent des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet der Verteidigungssektor. Deutsche Unternehmen sind bereits vielfach aktiv: So liefert MAN jährlich über 1.000 Fahrzeuge in die Ukraine, die Hälfte davon für militärische Zwecke. Vertreter der Drohnenproduzenten Terekh und Wietfield schilderten, wie Fronterfahrungen die Produktentwicklung prägen: „Unsere Drohnen waren anfangs zwar sicher, aber nicht nützlich“, sagte Marc Wietfeld, CEO von ARX Robotics. „Wir mussten uns an die Geschwindigkeit der Kriegsentwicklung anpassen.“

Neues Finanzierungsinstrument angekündigt

Im dritten Panel zum zukünftigen Wirtschaftsmodell der Ukraine rückte unter anderem die Transformation des Energiesektors in den Mittelpunkt, der zuletzt wieder verstärkt ins Visier russischer Angriffe geraten ist. „Meine Vision der ukrainischen Wirtschaft ist europäisch, innovativ und digitalisiert“, sagte Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche und zeigte sich beeindruckt von der Widerstandskraft des Landes. Bundesministerin Reiche erläuterte das neue Finanzierungsinstrument „UkraineConnect“ für Investitionen der deutschen und europäischen Wirtschaft in der Ukraine mit einem Startvolumen von 45 Millionen Euro. Ihr ukrainischer Kollege Oleksii Sobolev bezeichnete Branchen wie den IT-Sektor, die Verteidigungsindustrie und den Rohstoffsektor als besonders zukunftsträchtig. Zudem sei die Landwirtschaft ein „Powerhouse der ukrainischen Wirtschaft“. Hier setze man auf höhere Wertschöpfung im Inland. Erneuerbare Energien ersetzten zudem zerstörte Infrastruktur und schafften Versorgungssicherheit durch Dezentralisierung. „Die Transformation des Energiesektors ist 2022 gestartet“, sagte DTEK-Chef Maxim Timchenko „Wegen der Zerstörungen wird das ukrainische Energiesystem in zehn Jahren eines der modernsten weltweit sein – mit westlicher Hilfe.“

Am Abend endete die Konferenz nach sieben intensiven Stunden mit einem Konzert der Gruppe „Cultural Forces“, die aus ukrainischen Kriegsveteranen gebildet wird und mit ihren emotionalen Liedern das Publikum im Saal von den Sitzen riss. Moderator Reiner Perau, Geschäftsführer der AHK Ukraine, drückte am Ende einen Wunsch aus, der wohl die allermeisten Konferenzbeteiligten verbindet: dass die 9. Ausgabe des Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforums nächstes Jahr erstmals wieder in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw stattfinden könne.

Christian Himmighoffen, Andreas Metz
Abteilung Presse und Public Affairs

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