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Osteuropa stärkt deutschen Export - Fachkräftemangel dämpft aber Entwicklung

Oliver Hermes (2.v.re.) kommentierte aktuelle Entwicklungen in den OAOEV-Ländern. Foto: C. Himmighoffen
14.11.2019
Neue Impulse durch Automatisierung, Digitalisierung und Klimaschutz/ Deutsche Wirtschaft lobt mutige Schritte der Ukraine im Friedenprozess

Die Wirtschaft in Osteuropa wächst weiterhin überdurchschnittlich stark, ein Mangel an Fachkräften und eine sinkende Exportnachfrage aus Westeuropa dämpfen jedoch die Entwicklung. „Aktuell gehen wir nur von einer Wachstumsdelle aus“, sagte Oliver Hermes, der neue Vorsitzende des Ost-Ausschuss – Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft (OAOEV), bei einer Pressekonferenz in Berlin. „Hilfreich wäre jetzt eine Politik, die aktiv Wachstumsimpulse setzt, entschlossen in Infrastrukturmaßnahmen investiert, die Digitalisierung und den Klimaschutz vorantreibt und Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz und Elektromobilität anschiebt.“ Hier seien enge Kooperationen zwischen Deutschland und den östlichen Nachbarländern möglich und notwendig.

Aktuelle Handelsentwicklung

In den ersten acht Monate 2019 legten die deutschen Exporte in die 29 Länder des OAOEV um zwei Prozent auf 153 Milliarden Euro zu. Die Importe aus der Region wuchsen um ein Prozent auf 152 Milliarden Euro. Insgesamt hatten die 29 Länder damit einen Anteil am deutschen Außenhandel von rund 20 Prozent.


Mit Abstand wichtigster deutscher Wirtschaftspartner in der Region ist Polen, gefolgt von Tschechien, Russland, Ungarn und Rumänien. 30 Jahre nach Beginn der Transformation hat die Region Mittelosteuropa für die deutsche Wirtschaft inzwischen eine überragende Bedeutung erlangt: Polen löste im laufenden Jahr 2019 Großbritannien als sechstwichtigsten deutschen Handelspartner ab. Und mit Polen und Tschechien zusammen handelte Deutschland in den ersten acht Monaten 2019 Waren im Wert von 140 Milliarden Euro, dies war deutlich mehr als der deutsche Handel mit den USA (126 Milliarden) oder China (134 Milliarden).

Modernisierungsbedarf als Chance für deutsche Wirtschaft

Das gravierendste Problem in der Region ist der zunehmende Mangel an Facharbeitern. Dies werde durch eine fortgesetzte Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte nach Westen und die geburtenschwachen Jahrgänge der 1990er Jahre weiter verschärft. „Es muss deshalb verstärkt in Ausbildung und Automatisierung investiert werden“, so Hermes. Dieser Nachholbedarf an Hochtechnologie in der Region sei gerade eine Chance für die deutsche Wirtschaft, die Lösungen anbieten könne.

Wachstumsimpulse für die deutsche Wirtschaft erhofft sich der OAOEV auch vom Thema Klimaschutz: Die neue EU-Kommission will 2020 einen „Green Deal“ ausarbeiten, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden will. „Die Anwendungspotenziale für Erneuerbare Energien und Einsparmöglichkeiten an Kohlendioxid, etwa im Gebäudesektor, in Kraftwerken oder Industriebetrieben sind in Osteuropa außerordentlich groß. Mit relativ preisgünstigen Maßnahmen ließe sich hier eine Menge erreichen, wenn entsprechende Investitionsanreize gesetzt werden“, sagte Hermes.

Erwartungen an die neue EU-Kommission

Zu den weiteren Forderungen des OAOEV an die neue EU-Kommission gehört eine Verständigung mit der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) über den Abbau von Zollschranken und die Angleichung von Normen, Standards und Zertifizierungsregeln. Diese Gespräche seien auch deswegen so wichtig, weil Serbien als EU-Beitrittskandidat gerade ein Freihandelsabkommen mit der EAWU geschlossen hat und Moldau dort als östliches Partnerland der EU inzwischen einen Beobachterstatus hat.

„Anstatt Länder dazu zu bringen, sich entweder für die EU oder die EAWU zu entscheiden, muss es ein Miteinander aller geben. Deshalb schlagen wir die Einrichtung einer ständigen Arbeitsgruppe der EU mit der Eurasischen Wirtschaftsunion über den Abbau von Zollschranken und die Angleichung von Normen, Standards und Zertifizierungsregeln vor“, sagte Hermes.

Außerdem müsse die neue EU-Kommission nun die in den vergangenen Monaten entwickelten neuen EU-Strategien für „Zentralasien“ und „Konnektivität“ in die Praxis umsetzen: „Wir brauchen einen speziellen EU-Investitionsfonds für Infrastrukturprojekte in den Ländern entlang der neuen Seidenstraße“, betonte Hermes. Um mit China in der Region wirtschaftlich konkurrieren und eigene Standards durchsetzen zu können, müsse die EU bei Finanzierungsmöglichkeiten dringend attraktiver werden. Erst dann werde es europäischen Unternehmen gelingen, an Seidenstraßenprojekten in größerem Umfang zu partizipieren.

Entspannungsprozess zwischen Ukraine und Russland

Sehr positiv wertet der OAOEV den aktuellen Entspannungsprozess zwischen der Ukraine und Russland. „Der neue ukrainische Präsident Selenskyj hat großen Mut gezeigt und Bewegung in den festgefahrenen Konflikt in der Ost-Ukraine gebracht“, lobte Hermes. „Die Chance, neues Vertrauen aufzubauen und zu einer grundlegenden Verständigung mit Russland zu kommen, ist so groß wie noch nie in den vergangenen fünf Jahren. Dies würde europäische Investitionen in der Ostukraine entschieden erleichtern.“ Um diese hatte der ukrainische Präsident Selenskyj gerade im Rahmen einer großen Wirtschaftskonferenz im ostukrainischen Mariupol geworben, an der auch Vertreter des OAOEV teilgenommen haben.

Mit Fortschritten im Minsker Friedensprozess stiegen zudem die Chancen für einen Abbau von Wirtschaftssanktionen: „Sobald erkennbare und nachhaltige Schritte im Friedensprozess zu verzeichnen sind, sollten erste Sanktionen abgebaut werden, Schritt für Schritt“, sagte der OAOEV-Vorsitzende. Mit konkreten Angeboten an Russland könne die EU den Annäherungsprozess weiter voranbringen: „Dazu könnten vertrauensbildende Maßnahmen wie die Wiederaufnahme von Gesprächen zur Visa-Liberalisierung oder die Reaktivierung der Geschäftstätigkeit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in Russland gehören“, so Hermes. „Denkbar wäre auch die Wiederaufnahme des EU-Russland-Energiedialogs.“

Fortschritte bei Nord Stream 2

Gestützt werde die aktuelle Wiederannäherung durch die positive Entwicklung beim europäisch-russischen Pipelineprojekt Nord Stream 2. „Die Genehmigung des letzten Teilstücks der Pipeline durch die dänischen Behörden war eine wichtige Zwischenetappe. Sowohl für die europäischen Verbraucher als auch für die europäische Wirtschaft verbessert dies die Aussichten auf zusätzliche Erdgasimporte und damit stabile Energiepreise“, kommentierte der OAOEV-Vorsitzende. Noch sei aber in der EU umstritten, in welchem Umfang die Pipeline und dazugehörige Anschlussleitungen auch befüllt werden dürften. „Auf jeden Fall sollte den an Nord Stream beteiligten Unternehmen nicht verwehrt werden, was bei anderen europäischen Pipeline-Projekten erlaubt wird. Gleiches Recht für alle“, kommentierte Hermes mit Blick auf derzeitige Diskussionen auch in Deutschland. Es sei nicht akzeptabel, wenn Investitionsbedingungen im Nachhinein verändert würden.

Nord Stream 2 sei ebenso notwendig, wie der weitere Erdgas-Transit durch die Ukraine, um den Ausfall der niederländischen Gasförderung und die wachsende Nachfrage nach dem deutschen Ausstieg aus Kohle und Atomkraft kompensieren zu können. „Wir benötigen sowohl Nord Stream 2 als auch den Ukraine-Transit für eine diversifizierte europäische Erdgasversorgung“, betonte der OAOEV-Vorsitzende im Hinblick auf laufende Verhandlungen Russlands und der Ukraine unter Vermittlung der EU über einen neuen Gastransit-Vertrag. „Wir brauchen hier bis zum Jahresende ein positives Ergebnis“, so Hermes. 

Ansprechpartner

Andreas Metz
Leiter Presse und Kommunikation
Tel.: 030 206167-120
A.Metz@bdi.eu

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