Die ukrainische Agrarwirtschaft ist stark in Bewegung: Klimawandel und Kriegsfolgen belasten die Unternehmen, der Wegfall von EU-Handelspräferenzen verändert den Markt. Gleichzeitig versprechen die Integration neuer Technologien und die Übernahme von EU-Regeln Wachstumschancen. In diesem Umfeld fand am 17. September 2025 die fünfte Ausgabe der von Ost-Ausschuss und PwC organisierten Webinarreihe „Team Deutschland – Den Wiederaufbau der Ukraine gemeinsam voranbringen“ statt. Im Mittelpunkt standen die Themen Landwirtschaft, Landtechnik und Nahrungsmittel. Über 70 Teilnehmende informierten sich über aktuelle Entwicklungen, Förderinstrumente und Geschäftschancen.
Das Webinar, das in Kooperation mit DEG, Euler Hermes, Deloitte, VDMA und weiteren Partnern durchgeführt wurde, begann mit einem Grußwort von Dirk Stratmann, Sprecher der German Agribusiness Alliance (GAA) im Ost-Ausschuss. Er betonte die Bedeutung der Agrarwirtschaft für die wirtschaftliche Stabilität und den Wiederaufbau der Ukraine und wies auf die Rolle deutscher Unternehmen in diesem Prozess hin.
Matthias Koster (PwC Deutschland) stellte anschließend die Investitionsgarantien der Bundesregierung für Projekte in der Ukraine vor. Dörte Meyn (Euler Hermes) erläuterte die Möglichkeiten der Exportkreditgarantien, während Jan Heinemann (DEG) das Förderprogramm ImpactConnect präsentierte, das deutschen Unternehmen Finanzierungsmöglichkeiten für Projekte bis zu zehn Millionen Euro bietet. Dazu gehört auch ein Pilotprojekt zur Exportfinanzierung mit Hermesdeckung in der Ukraine.
Olga Trofimtseva (Ukraine Facility Plattform) beschrieb die aktuelle Lage der ukrainischen Landwirtschaft und hob Chancen für deutsche Unternehmen hervor. Die ukrainische Agrar- und Ernährungswirtschaft steht aktuell vor erheblichen Herausforderungen: Dürre und Hitze führten zu einem Rückgang der Getreide- und Ölsaatenerträge, während der Wegfall von EU-Handelspräferenzen den Markt bereits spürbar verändert. Zudem stiegen insbesondere im Schienenverkehr die Logistikkosten, was die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zusätzlich belaste, wie Trofimtseva erläuterte. Gleichzeitig böten Programme wie „Ukraine FIRST“, InvestEU sowie Ausschreibungen von UNDP und der EU-Delegation konkrete Fördermöglichkeiten. Im Rahmen der EU-Integration seien Fortschritte bei Gesetzgebung und Strategien erzielt worden, allerdings bestünden weiterhin strukturelle Defizite. Dazu gehörten fehlende LEADER-Programme, begrenzte Finanzierung und schwache Produzentenorganisationen. Insgesamt zeige sich ein komplexes Bild aus tiefgreifenden Herausforderungen und großen Chancen für eine nachhaltige Transformation.
Landwirtschaft und Verteidigung seien heute eng miteinander verknüpft, so Trofimtseva. Technologien wie Drohnen, Satelliten und Agrivoltaik fänden sowohl in der Landwirtschaft als auch im Militär Verwendung und trieben Innovationen voran. Eine zentrale Herausforderung sei die Anpassung an komplexe EU-Regularien. Gleichzeitig sei die ukrainische Landwirtschaft eine Art Labor für die Entwicklung und Erprobung neuer Lösungen. Programme wie eine AgTech-Einrichtung zur Integration von Hightech wie Robotik und KI in Produktionsabläufe sowie gezielte Förderinstrumente könnten die Chancen in der ukrainischen Landwirtschaft strategisch nutzbar machen.
Birte von Zittwitz (Deloitte) analysierte anschließend die Auswirkungen der EU-Integration auf die ukrainische Agrarwirtschaft und zeigte regulatorische Anpassungen auf. Ein zentraler Schritt sei die Einführung eines CO₂-Preissystems, das die Ukraine auf die Teilnahme am EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) vorbereiten soll.
Oksana Bukhovets (VDMA) folgte mit einem Impuls zur Landtechnik und betonte die hohe Nachfrage nach moderner Technik und Know-how. Der ukrainische Landtechnikmarkt werde weiterhin stark von ausländischen Maschinen dominiert, die bis zu 90 Prozent des Bestands ausmachten – insbesondere bei Traktoren. Seit Beginn des Krieges sei die Zahl der aktiven Unternehmen in der ukrainischen Landmaschinenindustrie um rund 13 Prozent gesunken, viele Produktionsstätten seien beschädigt worden oder lägen in Kriegsgebieten. Zudem habe sich die Importstruktur deutlich verändert: Belarus als früherer Lieferant kleiner Traktoren sei durch China ersetzt worden. Gleichzeitig zeigten die Einfuhrzahlen für 2024 eine Erholung gegenüber 2023, mit deutlichem Wachstum bei leistungsstarken Zugmaschinen und Sätechnik. Die größten Herausforderungen blieben die zerstörte Infrastruktur und die Abhängigkeit von Importen. Chancen könnten sich durch die steigende Nachfrage nach moderner Technik und die Möglichkeit für internationale Hersteller, ihre Marktanteile weiter auszubauen, ergeben.
Till Oehler (Global Clearance Solutions AG) sprach über die Bedeutung der Minenräumung für die landwirtschaftliche Nutzung großer Flächen. GCS verfolge das Ziel, sichere Lebensräume zu schaffen, indem es eigene innovative Technologien mit operativer Erfahrung vor Ort kombiniere, um Minen und andere explosive Kriegsreste sicher und nachhaltig zu beseitigen. Das Unternehmen ist nach Oehlers Angaben seit 2022 in der Ukraine aktiv, hat über 2.150 Zivilisten und Zivilistinnen ausgebildet und bereits mehr als 4,2 Millionen Quadratmeter Land entmint. Mit einem Marktanteil von 35 Prozent sei GCS ein wichtiger Akteur in der Ukraine. Zu den Herausforderungen zählten der Bedarf an internationaler Unterstützung, der Aufbau lokaler Marktstrukturen sowie die Integration globaler Expertise und Technologien. GCS setzt auf sektorübergreifende Partnerschaften – wie etwa mit Nibulon, um Know-how, Finanzierung und lokales Engagement zu bündeln, was entscheidend für den Wiederaufbau sei.
Wie Carolina Welzel (Bayer AG) berichtete, hat das deutsche Unternehmen den Betrieb in der Ukraine während des gesamten Krieges aufrechterhalten, 60 Millionen Dollar neu in die landwirtschaftliche Produktion investiert und Initiativen im Gesundheitswesen ausgeweitet. Zu den größten Herausforderungen zählten nach wie vor militärische Risiken, Minen und Drohnen. Mit über 700 Mitarbeitern vor Ort liefere Bayer weiterhin Saatgut und Medikamente. Zudem habe das Unternehmen 33 Millionen Euro für humanitäre Hilfe gespendet. Eine große Herausforderung bleibe der fehlende Versicherungsschutz für die ukrainischen Anlageinvestitionen von Bayer im Wert von insgesamt 260 Millionen Euro.
Nataliya Zinych (John Deere GmbH & Co. KG) berichtete aus der Praxis über die Aktivitäten des Landmaschinenkonzerns in der Ukraine. Sie betonte die Bedeutung langfristiger Partnerschaften, lokaler Präsenz und flexibler Lieferketten. Die größten Herausforderungen blieben auch für ihr Unternehmen militärische Risiken wie Minen und Drohnenangriffe. Das Unternehmen bleibe in der Ukraine aktiv, sieht sich jedoch mit Problemen bei der Wartung von Schutzfahrzeugen in Frontgebieten sowie mit beschädigten Werkstätten und Personalmangel konfrontiert.
Thomas Otten (Otten Consulting) erläuterte die steuerlichen Rahmenbedingungen für Agrarbetriebe in der Ukraine und wies auf Besonderheiten hin, die für deutsche Unternehmen relevant sind. Die Gewinnsteuer betrage grundsätzlich 18 Prozent, mit spezifischen Korrekturen für größere Unternehmen, während landwirtschaftliche Betriebe von pauschalen Steuersätzen zwischen 5 und 7,70 Euro pro Hektar profitieren könnten. Die Umsatzsteuer sei grundsätzlich mit dem deutschen System vergleichbar, inklusive Vorsteuerabzug und monatlicher Abgabe, jedoch mit teils verzögerter Erstattung. Eine zentrale Herausforderung bleibe die hohe formale Nachweispflicht („form over substance“) bei der steuerlichen Anerkennung von Betriebsausgaben. Gleichzeitig böte das Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland klare Vorteile, etwa reduzierte Quellensteuersätze auf Dividenden und Zinsen. Die Sozialversicherungsbeiträge seien mit 22 Prozent Arbeitgeberanteil hoch, wobei es keine gesetzliche Krankenversicherung gebe – ein weiterer Aspekt, der bei Investitionsentscheidungen berücksichtigt werden müsse.
In vier Kleingruppen wurden die Themen Absicherung, Finanzierung, Besteuerung, Landwirtschaft und Landtechnik vertieft. Die Diskussionen zeigten, dass trotz hoher Risiken ein großes Interesse an einem Engagement in der Ukraine besteht. Frühzeitige Markteintrittsstrategien, gezielte Förderinstrumente und politische Unterstützung sind entscheidend für den Erfolg. Die Veranstaltung unterstrich insgesamt die zentrale Rolle der Agrarwirtschaft für den Wiederaufbau der Ukraine und zeigte konkrete Ansatzpunkte für deutsche Unternehmen auf.
Mit diesem Webinar fand die Reihe „Team Deutschland – Den Wiederaufbau der Ukraine gemeinsam voranbringen“ im Jahr 2025 ihren Abschluss. Das anhaltende Interesse der Teilnehmenden zeigt, wie relevant die behandelten Themen für deutsche Unternehmen sind. Daher werden wir die Reihe im Jahr 2026 fortsetzen und dabei nicht nur an die bisherigen Inhalte anknüpfen, sondern auch weitere aktuelle und strategisch wichtige Themen in den Fokus rücken.
Kateryna Kyslenko, Service Desk Ukraine im Ost-Ausschuss
Kateryna Kyslenko
Leiterin Service Desk Ukraine
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