
Seit dem 13. März arbeiten insgesamt 256 Personen in 16 Fachgruppen an einem Koalitionsvertrag für die kommende Legislaturperiode. Gelingt eine Einigung, soll Friedrich Merz voraussichtlich Anfang Mai von der neuen Koalition aus CDU/CSU und SPD zum Bundeskanzler gewählt werden. Während es insbesondere in Finanz-, Steuer-, Energie- und Migrationsfragen noch erheblichen Gesprächsbedarf gibt, besteht bezüglich der außen- und europapolitischen Ziele der Koalition weitgehende Einigkeit. Wir haben die wichtigsten Aussagen aus den Entwürfen der Arbeitsgruppen zur Ost-Ausschuss-Region zusammengefasst.
Seit drei Wochen verhandeln CDU/CSU und SPD über die Bildung einer Koalition. Der bislang bekannte, 162 Seiten umfassende Entwurf für einen neuen Koalitionsvertrag enthält zwar noch eine Reihe von Streitpunkten, die Grundzüge der zukünftigen Europa- und Außenwirtschaftspolitik werden aber bereits deutlich. Erfreulich aus Ost-Ausschuss-Sicht: Die Abstimmung mit Polen soll intensiviert und die EU-Beitrittsbemühungen der Länder des Westlichen Balkans sowie der Ukraine und Moldaus stärker unterstützt werden. Die deutsche Entwicklungshilfe soll sich künftig am wirtschaftlichen Nutzen für deutsche und europäische Unternehmen orientieren und Exporteure von Bürokratie entlastet werden.
Im Papier der Arbeitsgruppe 2 Wirtschaft, Industrie, Tourismus wird das Festhalten an der bisherigen Sanktionspolitik betont: „Die effektive nationale Umsetzung der Sanktionen aufgrund des russischen Angriffskriegs stellen wir weiterhin sicher. Wir unterstützen die Pläne der EU zur Erhebung von Zöllen auf den Import von Düngemitteln aus Russland und Weißrussland.“ Aufhorchen lassen Aussagen zu den Ausfuhrgenehmigungsprozessen: „Unser Ziel ist ein Paradigmenwechsel“, heißt es in diesem Zusammenhang. „Anstelle von durchgängigen Prüfungen streben wir stichprobenartige Kontrollen verbunden mit empfindlichen Strafen bei Verstößen an. Eine vorherige Exportgenehmigung wäre nicht mehr erforderlich.“ Dies liest sich zunächst gut, denn es könnte langwierige Prüfverfahren beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle BAFA überflüssig machen. Gleichzeitig warnt der BDI davor, dass eine Beweislastumkehr zu einer noch größeren Belastung und Verunsicherung von Unternehmen führen könnte, die im Falle eines Sanktionsverstoßes nachweisen müssten, alles Erforderliche für dessen Vermeidung getan zu haben.
Im Papier der Arbeitsgruppe 12 (Verteidigung, Außen, Entwicklung, Menschenrechte) wird Russland als „größte und direkteste Bedrohung“ für Deutschlands Sicherheit bezeichnet. „Bereits in den nächsten Jahren wird Russland in der Lage sein, einen Angriff gegen uns und unsere Verbündeten zu führen“, heißt es im Entwurf und weiter: „Putins expansionistische Ideologie richtet sich gegen die regelbasierte Weltordnung als Ganze.“ Deutschlands Führungsverantwortung bestehe darin, „als Anlehnungsmacht zu dienen und gemeinsam mit unseren Partnern Europa zu einem außen- und sicherheitspolitisch handlungsfähigen Akteur zu machen“. Neben einer entsprechenden Ertüchtigung der Bundeswehr wolle man die Ukraine „umfassend unterstützen, so dass sie sich gegen den russischen Aggressor effektiv verteidigen und sich in Verhandlungen behaupten kann.“ (Die in diesem Absatz genannten Aussagen zu Russland und der Ukraine wurden im eigentlichen Koalitionsvertrag verändert, siehe Ergänzungen am Ende des Beitrags.)
Deutschland stehe zur NATO-Perspektive der Ukraine und werde sich am Wiederaufbau des Landes beteiligen. Konkret wollen die zukünftigen Koalitionäre prüfen, ob „das eingefrorene russische Staatsvermögen zur finanziellen und militärischen Unterstützung der Ukraine wirtschaftlich“ genutzt werden könne. Bislang hat sich die EU aus Angst vor Turbulenzen am Finanzmarkt in dieser Frage zurückgehalten und nur die wirtschaftliche Nutzung der unerwartet bei westlichen Finanzinstituten anfallenden Zinserträge aus eingefrorenem Vermögen ermöglicht. Konkret unterstützt werden soll außerdem die Einrichtung eines Sondertribunals, „um das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine angemessen zu verfolgen und zu ahnden“.
Das Nachbarland Polen, wichtigster Handelspartner im östlichen Europa, wird im Papier der Arbeitsgruppe 13 (Europa) prominent erwähnt. Insbesondere strebt die Koalition eine Aufwertung des so genannten Weimarer Dreiecks mit Polen und Frankreich an. „Im Weimarer Dreieck werden wir die enge Abstimmung zu allen relevanten Fragen der Europapolitik suchen, um im Dienst der ganzen EU geeinter zu handeln“, heißt es dazu. Angedacht ist auch eine Erweiterung des Formats auf „Weimar plus“, indem etwa Länder wie Großbritannien einbezogen werden. Gestärkt werden sollen die „Zukunftsfonds mit Tschechien, Griechenland und Italien sowie die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit“. Zudem will sich die künftige Regierungskoalition „für die rasche Einrichtung eines Gedenkorts für die Opfer der deutschen Aggression und Besatzung in Polen (1939-1945) auf dem Platz der ehemaligen Kroll-Oper sowie die Errichtung des Deutsch-Polnischen Hauses als Ort des Gedenkens und Begegnens im Zentrum Berlins“ einsetzen.
Ungarn, in dem sich deutsche Unternehmen in bestimmen Branchen zuletzt einer deutlichen Benachteiligung gegenüber einheimischen Unternehmen ausgesetzt sahen und mit Sondersteuern und Auflagen traktiert wurde, findet im Vertragsentwurf der Arbeitsgruppen keine namentliche Erwähnung. Es wird aber vielsagend betont, dass Verstöße einzelner EU-Länder gegen Grundsätze des gemeinsamen Binnenmarkts schärfer geahndet und das Mehrheitsprinzip bei EU-Abstimmungen zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ausgebaut werden sollen: „Wir schützen die Grundwerte aus Artikel 2 EU-Vertrag nachdrücklich und gehen künftig noch konsequenter gegen Rechtsstaatsverstöße vor. Dafür müssen bestehende Schutzinstrumente, von Vertragsverletzungsverfahren über die Zurückhaltung von EU-Geldern bis hin zur Suspendierung von Rechten der Mitgliedschaft wie zum Beispiel Stimmrechte im Rat der EU, deutlich konsequenter als bisher angewendet werden.“
Besonders erfreulich fallen aus Sicht des Ost-Ausschusses die Abschnitte zur EU-Erweiterung aus: „Die Erweiterungspolitik hat hohe transformative Kraft und ist eine geopolitische Notwendigkeit“, heißt es ausdrücklich im Vertragsentwurf. Die massiv veränderte Weltlage erfordere eine Weiterentwicklung des EU-Beitrittsprozesses. So sollen „individuelle Fortschritte der Kandidatenländer bei der Annäherung an europäische Werte und Standards stärker honoriert werden“. Verfolgen möchte die zukünftige Koalition einen „schrittweisen Integrationsansatz, vor einer vollständigen Mitgliedschaft.“ Dazu können insbesondere ein „Phasing-in“ in EU-Programme und -Politiken, die Gewährung eines Beobachterstatus im Europäischen Parlament und Rat der EU sowie eine assoziierte Mitgliedschaft in bestimmten Bereichen wie der GASP/GSVP ohne Stimmrecht gehören. Der wichtige EU-Beitritt der sechs Länder des Westbalkans, der Ukraine und der Republik Moldau liegt im wechselseitigen Interesse.“ Der „Berlin Prozess“ soll weitergeführt werden, um insbesondere den Kandidatenländern des Westlichen Balkans Perspektiven aufzuzeigen. Georgien hingegen wird kritisch gesehen, hier müssten erst Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit ausgeräumt werden. Um die EU wieder aufnahmefähig zu machen, seien aber auch eine innere Konsolidierung und Reform der EU nötig. „Wir setzen uns für eine Ausweitung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen im Rat der EU ein, insbesondere bei bestimmten Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) wie der Verhängung von Sanktionen.“
Umstritten ist insbesondere noch die Zukunft des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), das die Union auflösen und insbesondere ins Auswärtige Amt überführen möchte. Sie will damit „endlich Kohärenz in unserem gesamten Außenhandeln - zwischen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik sowie der Außenwirtschaftsförderung – herstellen“. Zwar erkennt auch die SPD in dem Bereich einen Konsolidierungsbedarf an, will aber eher Zuständigkeiten in einem eigenständigen BMZ bündeln.
Konsens scheint hingegen zu sein, die deutsche finanzielle Entwicklungshilfe endlich stärker nach wirtschaftlichen Kriterien auszurichten. „Wir brauchen grundlegende Veränderungen in der Entwicklungspolitik, die aktuelle geopolitische und -ökonomische Realitäten stärker abbilden und gestalten muss“, heißt es dazu im Papier. Bei der Vergabe von staatlich finanzierten Projekten im Ausland sollen vorrangig deutsche und europäische Unternehmen berücksichtig werden. Dies ist eine Forderung, die Ost-Ausschuss und BDI immer wieder zur Sprache gebracht haben. Denn nicht selten machen deutsche Unternehmen bei Ausschreibungen im Ausland die Erfahrung, dass deutsche Fördergelder an Unternehmen aus China oder der Türkei abfließen, die billiger anbieten können, weil sie sich nicht an europäische Standards gebunden fühlen.
Exportorientierte und investitionsbereite Unternehmen sollen zudem in Zukunft bessere Finanzierungsmöglichkeiten und Risikoabsicherungen erhalten: „Wir modernisieren und erweitern zu diesem Zweck den Garantierahmen für die Absicherung von Kreditvergaben“, heißt es dazu im Entwurf der Koalitionäre. „Wir werden eine gemeinsame Anlaufstelle der Außenwirtschaftsförderung und der Entwicklungszusammenarbeit für die deutsche Wirtschaft etablieren.
Erstaunlich wenige Aussagen enthält der Koalitionsvertrag zu einer deutschen Rohstoffstrategie. Die zehn Zeilen, die dem Punkt im Kapitel Wirtschaft gewidmet sind, sprechen allgemein von einer angestrebten Diversifizierung und Handels- und Rohstoffpartnerschaften auf Augenhöhe. An anderer Stelle wird der Zubau von 20 Gigawatt an Gaskraftwerken geplant und die deutsche Beteiligung an einer europäischen Wasserstoffstrategie ist geplant (AG Klima und Energie). Woher die Energierohstoffe sowie andere insbesondere für Digitalisierung und Verkehrswende kritische Metalle wie Seltene Erden zukünftig kommen sollen, wird nicht näher erläutert. Entsprechend fehlen auch Aussagen zur engeren Zusammenarbeit mit den fünf Ländern Zentralasiens, die sich hier als Partner ausdrücklich anbieten. Das EU-Programm „Global Gateway“, das unter anderem auch der intensivierten Zusammenarbeit entlang des „Mittleren Korridors“ dient, wird zwar erwähnt, aber ohne nähere Erläuterung spezifisch deutscher Interessen und geographischer Schwerpunkte. Ob die bisherigen Zentralasien-Gipfel der Bundesregierung eine Fortsetzung finden und - wie vom Ost-Ausschuss gefordert - weiterentwickelt werden, bleibt offen.
Eine größere Baustelle ist auch noch das Thema Fachkräfte im Papier der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales. Einigen konnte man sich auf den Satz „Die Sicherung der Fachkräftebasis ist ein entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes“ und auf die Schaffung einer „digitalen Agentur für Fachkräfteeinwanderung“. Bürokratische Hürden sollen eingerissen, Berufsqualifikationen beschleunigt anerkannt werden. Der Gewinnung von Fachkräften soll zukünftig Vorrang in Visaverfahren einräumen. Dazu soll das Visa-Verfahren digitalisiert und Terminvergabe und Prüfung beschleunigt werden. Im Detail aber bleiben viele Punkte noch offen, so auch die Frage, mit welchen Regionen die Bundesregierung bei der Fachkräfteanwerbung zukünftig kooperieren möchte.
Welche Schwerpunkte sich der Ost-Ausschuss und die anderen Regionalinitiativen der deutschen Wirtschaft für die kommende Legislaturperiode erhoffen, können Sie diesem Positionspapier entnehmen:
Kernforderungen für die neue Legislaturperiode | Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
Der finalisierte Koalitionsvertrag wurde am 9. April veröffentlicht und ist hier zu finden. Im Kapitel zu Außen- und Sicherheitspolitik sind dabei gegenüber dem ursprünglichen Entwurf und der Bewertung Russlands und der Ukraine deutliche Veränderungen vorgenommen worden. Dass Russland in wenigen Jahren einen Krieg gegen die EU führen könnte, wird nicht mehr erwähnt. Auch weitere Sätze wurden angepasst. Zentral sind nunmehr diese Aussagen:
„Die größte und direkteste Bedrohung geht dabei von Russland aus, das im vierten Jahr einen brutalen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und weiter massiv aufrüstet. Das Machtstreben von Wladimir Putin richtet sich gegen die regelbasierte internationale Ordnung.“
„Die Ukraine als starker, demokratischer und souveräner Staat, der eigenständig und mit euroatlantischer Perspektive über seine Zukunft bestimmt, ist von zentraler Bedeutung für unsere eigene Sicherheit. Wir werden deshalb unsere militärische, zivile und politische Unterstützung der Ukraine gemeinsam mit Partnern substanziell stärken und zuverlässig fortsetzen. Wir werden uns im engen Schulterschluss mit unseren Partnern für eine gemeinsame Strategie hin zu einem echten und nachhaltigen Frieden einsetzen, in dem die Ukraine aus einer Position der Stärke und auf Augenhöhe agiert. Dazu gehören auch materielle und politische Sicherheitsgarantien für eine souveräne Ukraine.“
Weiterhin enthalten sind die Aussagen zu einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und der Nutzung russischen Vermögens „zur finanziellen und militärischen Unterstützung der Ukraine“.
Ukrainische Geflüchtete, die nach dem 1.4.2025 nach Deutschland eingereist sind, haben nur noch Anspruch auf Asylleistungen und erhalten damit nicht direkt das höhere Bürgergeld. Die bestehenden Grenzkontrollen – damit auch an der Grenze zu Polen – sollen bis auf weiteres fortgesetzt werden, um illegale Migration zu verhindern. Zurückweisungen in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn erfolgen.
Präzisiert wurden folgende Aussagen, die ebenfalls Ost-Ausschuss-Länder betreffen. So heißt es:
„Die dauerhaft in Litauen stationierte deutsche Brigade ist unser zentraler Beitrag für Abschreckung und Verteidigung an der NATO-Ostflanke. Die Aufstellung, ihre Ausstattung und Finanzierung sowie ihr Personalbedarf haben Priorität.“
Zudem soll die Westbalkan-Regelung begrenzt werden: „Reguläre Migration nach Deutschland im Rahmen der sogenannten Westbalkan-Regelung werden wir auf 25.000 Personen pro Jahr begrenzen.“
Mehr Dynamik soll durch eine Agentur die Anwerbung und Integration internationaler Fachkräfte bekommen:
„Es gilt, bürokratische Hürden einzureißen, etwa durch eine konsequente Digitalisierung sowie die Zentralisierung der Prozesse und eine beschleunigte Anerkennung der Berufsqualifikationen. Dafür schaffen wir, unter Mitwirkung der Bundesagentur für Arbeit, eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung – „Work-and-stay-Agentur“ – mit einer zentralen IT-Plattform als einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte.“
Die diskutierte Auflösung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), wurde letztlich vom Tisch genommen. Das BMZ soll sogar gegenüber dem Auswärtigen Amt und weiteren Ministerien eine stärker koordinierende Form bekommen:
„Wir werden den integrierten Ansatz durch eine bessere Zusammenarbeit von AA, BMZ und BMVg stärken, kohärent aufeinander abstimmen und entlang unserer Interessen ausrichten. Um die Effektivität und Kohärenz der öffentlichen Entwicklungsleistungen (ODA) des Bundes zu steigern und damit den Außenauftritt der Bundesregierung stringenter zu gestalten, werden wir die entwicklungspolitischen Schnittstellen zwischen den Ressorts reduzieren und die Leistungen, die nicht in den klassischen ODA-Ressorts liegen, im BMZ bündeln.“
Andreas Metz,
Leiter Public Affairs im Ost-Ausschuss
Andreas Metz
Leiter Public Affairs
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