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Infrastruktur und Logistik als Schlüssel für den Wiederaufbau der Ukraine

Hafen Odessa. Foto: Andreas Metz
12.09.2025
Vierte Ausgabe der Webinarreihe „Team Deutschland – Den Wiederaufbau der Ukraine gemeinsam voranbringen“ / Themen Infrastruktur, Transport, Logistik

Am 12. September fand die vierte Ausgabe der interaktiven Webinarreihe „Team Deutschland – Den Wiederaufbau der Ukraine gemeinsam voranbringen“ statt. Die Veranstaltung wurde vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft gemeinsam mit PwC Deutschland organisiert und widmete sich den zentralen Themen Infrastruktur, Transport und Logistik im Kontext des Wiederaufbaus der Ukraine. Über 70 Teilnehmende informierten sich über aktuelle Entwicklungen, Förderinstrumente und Geschäftschancen. Das Webinar wurde in Kooperation mit GTAI, Berlin Economics und der Plattform Wiederaufbau Ukraine durchgeführt.

Eröffnet wurde das Webinar mit einem Grußwort von Michael Huber-Saffer, Partner für Investitionsgarantien des Bundes bei PwC Deutschland. Er unterstrich die strategische Bedeutung der Bereiche Infrastruktur, Transport und Logistik für den Wiederaufbau der Ukraine und betonte die Rolle deutscher Unternehmen in diesem Prozess.

Finanzierung und Absicherung für Wiederaufbauprojekte

Felix Graf (PwC Deutschland) informierte anschließend in einem Überblick über die Investitionsgarantien der Bundesregierung für Projekte in der Ukraine. Michael Geske (Euler Hermes) stellte die Exportkreditgarantien vor, die trotz der hoher Risikokategorie der Ukraine weiterhin Absicherungen ermöglichen. Alexander Klein (DEG) präsentierte das Förderprogramm ImpactConnect, das deutschen Unternehmen Finanzierungsmöglichkeiten für Projekte von bis zu zehn Millionen Euro bietet und bereits erfolgreich in der Ukraine umgesetzt wird.

Infrastruktur und Logistik als Schlüsselbereiche

Nadja Teoharova vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie betonte die strategische Bedeutung von Infrastruktur und Logistik für den Wiederaufbau. Der geschätzte Bedarf für den Wiederaufbau beläuft sich in den nächsten zehn Jahren auf 524 Milliarden US-Dollar. Besonders gefragt seien Leistungen in den Bereichen Verkehrs-, Energie- und Wasserinfrastruktur sowie im Hoch- und Ingenieurbau. Herausforderungen bestünden hingegen bei der Finanzierung, Sicherheitsfragen und in der Vergabepolitik.

Garry Poluschkin, Länderkoordinator Ukraine beim German Economic Team (GET), stellte die Ergebnisse einer Studie zur wirtschaftlichen Bedeutung des EU-Ukraine-Abkommens zur Liberalisierung des Straßentransports vor. Seit 2022 habe das Abkommen wesentlich zur Aufrechterhaltung der Handelsströme beigetragen, insbesondere angesichts der Blockade ukrainischer Seehäfen. Ohne das Abkommen wären der Handel zwischen der EU und der Ukraine in den Jahren 2022 bis 2024 um bis zu 15 Prozent niedriger gewesen. Das digitale Warteschlangensystem eCherha habe die Effizienz an den Grenzen verbessert und Wartezeiten um bis zu 40 Prozent reduziert. Die Studie zeigt, dass der Straßentransport nicht nur eine Notlösung ist, sondern wichtig für den Handel mit hochwertigen und zeitkritischen Gütern bleibt. Poluschkin empfahl, das genehmigungsfreie Regime bis zur EU-Mitgliedschaft beizubehalten und weiter in digitale Grenzlösungen zu investieren. Die „Solidarity Lanes“ hätten sich als wirksames Instrument zur wirtschaftlichen Stabilisierung und logistischen Anbindung der Ukraine erwiesen.

Transportversicherungen kaum verfügbar

Raik Becker, Leiter der Abteilung Speciality Marine, Cargo & Logistics bei Marsh McLennan, erklärte, dass klassische Landtransportversicherungen derzeit weitgehend ausgeschlossen sind. In bestimmten Fällen können jedoch Sonderregelungen greifen, die unter besonderen Umständen einen teilweisen Schutz bieten. Das Kriegsrisiko bleibt grundsätzlich ausgeschlossen, kann aber in Einzelfällen durch Sonderabkommen berücksichtigt werden. Becker nannte ein erfolgreiches Beispiel, bei dem für einen ukrainischen Getreideexporteur eine individuelle Lösung mit Versicherern aus dem Londoner Markt gefunden wurde – allerdings als Sonderanfrage. Auch für Transporte über das Schwarze Meer konnte eine Versicherung gegen militärische und politische Risiken realisiert werden. Für reguläre Landtransporte fehlen bislang vergleichbare Fälle. Becker betonte, dass politische Unterstützung notwendig sei, um tragfähige Lösungen zu entwickeln. Die Situation ist dynamisch, und individuelle Ansätze sind je nach Fall möglich.

Thomas Winkelmann, Partner bei Henniger Winkelmann Consulting, präsentierte eine umfassende Analyse zur aktuellen Lage und den Perspektiven der ukrainischen Logistik im Kontext des Wiederaufbaus. Er hob hervor, dass sich das ukrainische Transportsystem als äußerst resilient erwiesen habe und trotz massiver Kriegseinwirkungen seine Funktionalität weitgehend erhalten konnte. Die Umleitung von Agrarexporten über Landübergänge sowie die verstärkte Nutzung der Donauhäfen hätten zur Stabilisierung der Lieferketten beigetragen. Gleichzeitig zeigte er auf, dass die Logistik künftig stärker auf komplexe und zeitkritische Importe ausgerichtet sein müsse, insbesondere für den Wiederaufbau von Infrastruktur und Industrie. Prognosen bis 2035 deuteten auf ein deutliches Wachstum der Transportvolumina über Straße, Bahn und Häfen hin. Neue Priorität habe die sogenannte „Rückwärtslogistik“, bei den frei gewordenen Kapazitäten für den Import von Wiederaufbauprodukten genutzt werden sollen. Winkelmann betonte die Notwendigkeit, bestehende Lager-, Umschlag- und Grenzinfrastrukturen neu zu bewerten und Engpässe vorausschauend zu vermeiden.

Matthias Mauz (AHP International) präsentierte die neue Plattform RailConTec Ukraine, die internationalen Bahnunternehmen den Marktzugang erleichtern und beim Aufbau lokaler Präsenz unterstützen soll. „Ukrsalisnyzja“, die ukrainische Bahn, gilt als Rückgrat des Landes und befindet sich im Prozess der Modernisierung und EU-Integration. RailConTec bietet Zugang zu Marktinformationen, Austausch mit „Ukrsalisnyzja“ und individuelle Dienstleistungen.

Einblicke aus der Unternehmenspraxis

Philipp Sweens (HHLA International) und Roland Schüller (Hellmann East Europe GmbH & Co. KG) berichteten über weitere Entwicklungen im Transportsektor. Die Marktlage zeige einen stabilen Trend mit zunehmender Bedeutung humanitärer und militärischer Lieferungen. Die Frachtraten seien weitgehend stabil, die Grenzabfertigung habe sich verbessert.  Roland Schüller gab einen Überblick über die aktuelle Situation bei Transporten und Zöllen in die Ukraine. Das Exportvolumen sei stabil, jedoch niedriger als vor dem Krieg. Die Fahrzeugverfügbarkeit im Straßentransport sei entspannt, besonders für Kyjiw, die Westukraine und Odessa. Die Frachtraten seien seit Längerem stabil mit einer Volatilität von plus minus zehn Prozent. Im Bereich Seefracht sei die Lage angespannt – geprägt von geopolitischen Risiken und neuen Zuschlägen der Reedereien. Für das vierte Quartal 2025 und das erste Quartal 2026 wird ein saisonaler Anstieg der Raten erwartet. Die Grenzabfertigung habe sich verbessert, die Einfuhrverzollung verläuft meist reibungslos. Hellmann biete im Durchschnitt bis zu zehn Sammelgutabfahrten pro Woche mit flexibler Laderaumbereitstellung. 

Break-Out-Sessions und nächste Schritte

In fünf Kleingruppen wurden dann Themen wie Absicherung, Finanzierung, Infrastruktur, Logistik und Bahntechnik vertieft. Die Teilnehmenden tauschten dabei Projektideen und Praxiserfahrungen aus. Straßen- und Schienentransporte sind demnach kaum versicherbar. Programme der EBRD und polnische Exportkreditagentur KUKE bieten Teil-Rückversicherungen für Kriegsschäden, decken diese aber nur begrenzt ab. Deutsche Transporteure arbeiten oft auf eigenes Risiko oder mit ukrainischen Partnern. Ohne staatliche Unterstützung bleibt die Lage schwierig. Der Infrastrukturbedarf ist enorm groß, aber problematisch für die Beteiligung deutscher Unternehmen. Europäische Bauunternehmen zeigen zwar Interesse, sind aber wegen hoher Risiken nicht aktiv. Türkische Firmen bieten günstiger an und sind risikofreudiger, haben jedoch keinen Zugang zu EU-Fördermitteln. Frühzeitige Markteintrittsstrategien sind sinnvoll. Herausforderungen bestehen in der Baulogistik und Materialversorgung.

Die Veranstaltung zeigte die zentrale Rolle der Logistik und Infrastruktur für den Wiederaufbau. Förderinstrumente bieten dabei gute Chancen für deutsche Unternehmen, sind aber für viele deutsche Firmen nicht ausreichend, um sich aktiv am Wiederaufbau-Prozess der Ukraine jetzt zu beteiligen. Nächste Schritte sind weitere gemeinsame Arbeit an der Verbesserung der Rahmenbedingungen, aber auch Projektentwicklung und eine gezielte Unterstützung durch die Entscheidungsträger, Verbände und Partnerinstitutionen.

Kateryna Kyslenko, Service Desk Ukraine im Ost-Ausschuss

Kontakt

Kateryna Kyslenko
Leiterin Service Desk Ukraine
T. +49 30 206167-129
K.Kyslenko@oa-ev.de

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