Zum ersten Mal in der über 70-jährigen Geschichte des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft fand am 29. September in Berlin ein gemeinsames Wirtschaftsgespräch mit den Staatsoberhäuptern aus allen fünf zentralasiatischen Staaten statt. „Dieses historische Treffen in Berlin ist ein starker Impuls für die deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit der Region“, sagte Cathrina Claas-Mühlhäuser, Vorsitzende des Ost-Ausschusses, im Anschluss. Die Staatschefs der fünf zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan wurden von Bundeskanzler Olaf Scholz zu politischen Gesprächen nach Berlin eingeladen.
An dem Wirtschaftsgipfel im Hotel Adlon beteiligten sich zudem zahlreiche Minister und die fünf Botschafter der Länder. Auf deutscher Seite nahmen auf Einladung des Ost-Ausschusses 40 hochrangige Vertreterinnen und Vertreter deutscher Unternehmen teil. Im Mittelpunkt der Gespräche standen vor allem regionale Wirtschaftsprojekte. Alle Seiten vereinbarten die Erstellung einer „Berliner Liste“ von multilateralen Projekten in Zentralasien, die gemeinsam ausgewählt und flankiert werden. Insgesamt haben deutsche Unternehmen bislang über zehn Milliarden Euro in Zentralasien investiert und dadurch über 35.000 Arbeitsplätze geschaffen. Bereits rund 900 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung produzieren und bieten Dienstleistungen in der Region an.
„Die deutsche Wirtschaft hat im Rahmen der angestrebten Diversifizierung ihrer Wirtschaftsbeziehungen größtes Interesse an einer strategischen Partnerschaft mit Zentralasien“, betonte die Ost-Ausschuss-Vorsitzende Claas-Mühlhäuser und schlug fünf Schwerpunkte für eine Intensivierung der Zusammenarbeit vor: die Produktion von grüner Energie und deren Nutzung in Form von Wasserstoff, die Rohstoffförderung und Weiterverarbeitung vor Ort, die Modernisierung der Landwirtschaft und des Wassermanagements, den Ausbau der Transportinfrastruktur und die Zusammenarbeit in der Berufsausbildung.
Der Stellvertretende Ost-Ausschuss-Vorsitzende Christian Bruch (Siemens Energy) nannte in seinem Statement Zentralasien das „Bindeglied in einer zukünftigen Energiewende“. Die verfügbaren Flächen ermöglichten es, dort „Projekte in riesiger Größenordnung“ umzusetzen. Angesichts entsprechend hoher Investitionssummen benötigten die Unternehmen allerdings Verlässlichkeit und eine enge politische Begleitung, so Bruch. Entsprechend bedeutend sei dieser erste Zentralasien-Gipfel in Deutschland.
In Ihren Statements erklärten die fünf versammelten Staatsoberhäupter anschließend Ihrerseits die Bereitschaft zur Unterstützung deutscher Investoren. Sie legten dabei deutliche Schwerpunkte auf die Förderung und lokale Verarbeitung begehrter Rohstoffe, die Nutzung von Wind-, Sonnen- und Wasserkraft und den Ausbau der Verkehrsverbindungen. Kasachstans Präsident Qassym-Schomart Toqajew kündigte die Steigerung der Ölexporte nach Deutschland an, warb für gemeinsame Projekte zur Förderung Seltener Erden und schlug den weiteren Ausbau der Logistikkette über das Kaspische Meer als „schnellste und ökologisch sauberste Route“ zwischen Asien und Europa vor. Außerdem erhofft sich Toqajew einen Technologietransfer zur Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft und zur grünen Transformation der kasachischen Wirtschaft. Zentralasien gehöre zu den Regionen, die am meisten vom Klimawandel betroffen seien. Bis 2050 sei mit einem Temperaturanstieg um 2,5 Grad zu rechnen. Für das angestrebte Ziel der Klimaneutralität bis 2060 werde deutsche Technologie benötigt. Toqajew lud alle teilnehmenden Unternehmen zur Weltklimakonferenz 2026 nach Kasachstan ein.
Der kirgisische Präsident Sadyr Dschaparow bot deutschen Unternehmen eine Beteiligung am Ausbau der Logistikinfrastruktur entlang der geplanten Eisenbahnstrecke von China über Kirgisistan nach Usbekistan an. Außerdem könne in den Abbau Seltener Erden und die Produktion biologischer Lebensmittel investiert werden. Kirgisistan verfüge zudem über riesige Süßwasserressourcen. Ziel sei es, durch weitere Großprojekte zur Nutzung von Wasserkraft zum Energieexporteur zu werden. Zudem wünschte sich Dschaparow mehr direkte Flugverbindungen zwischen Europa und Zentralasien für Geschäftsreisende und Touristen.
Auch der tadschikische Präsident Emomalij Rahmon verwies in seinem Statement auf den Wasserreichtum seines gebirgigen Landes. Bereits heute stamme 98 Prozent der in Tadschikistan genutzten Energie aus erneuerbaren Quellen. Damit liege sein Land weltweit an sechster Stelle. Sein Ziel sei es, die Energieerzeugungskapazitäten in den kommenden Jahren zu verdoppeln. Durch diesen Reichtum an grüner Energie biete sich Tadschikistan als Produktionsstandort für energie-intensive Branchen wie die Aluminium- oder die Kupferindustrie an. Bei einer Produktion in Tadschikistan entfalle die Carbon Border Tax, die gerade in der EU eingeführt werde. Zudem empfahl auch Rahmon Investitionen in den Bergbausektor seines Landes, in dem 40 verschiedene Arten von Metallen gefördert werden könnten.
Gurbanguly Berdimuhamedow, Vorsitzender des Volksrats von Turkmenistan, regte den Bau einer transkaspischen Gaspipeline sowie von Stromübertragungsnetzen an, um Europa von Turkmenistan aus versorgen zu können. Auch in seinem Land habe die Produktion von grüner Energie und Wasserstoff eine große Zukunft. Um dem klimabedingt zunehmenden Wassermangel in der Landwirtschaft zu begegnen, regte Berdimuhamedow ein stärkeres deutsches Engagement in diesem Sektor an. Dies gelte auch für das Gesundheitswesen seines Landes. So seien gemeinsame Projekte zur Produktion von Medikamenten sowie zur Herstellung von Babynahrung sehr erwünscht.
Der usbekische Staatspräsident Shavkat Mirziyoyev, der gemäß der alphabetischen Reihenfolge der Länder als letztes Staatsoberhaupt das Wort ergriff, schlug vor, den deutsch-zentralasiatischen Wirtschaftsgipfel ab sofort zu einem regelmäßigen Format zu machen und lud bereits alle Anwesenden für 2024 nach Usbekistan ein. Die geopolitischen Veränderungen der vergangenen Monate würden auch die Entwicklung in Zentralasien stark beeinflussen. „Unsere Länder stehen zusammen und widerstehen den Herausforderungen.“ Deutschland sei für Usbekistan der Schlüsselpartner für Investitionen, Innovationen und Technologie in Europa. Mirziyoyev sprach nacheinander alle am Tisch vertretenen 25 deutschen Unternehmen an und lud sie zu weiteren Projekten ein, angefangen vom Bausektor, über die Förderung kritischer Rohstoffe, die Erzeugung erneuerbarer Energien und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur bis hin zur Förderung der deutschen Sprache mithilfe gemeinsamer Bildungsprojekte.
In der anschließenden Tischrunde beschrieben die Unternehmensvertreterinnen und Vertreter ihr Engagement in Zentralasien und stellten Überlegungen zu neuen Projekten an. Welch hohe Bedeutung die Bundesregierung dem Treffen zumaß, verdeutlichten die Teilnahmen des Chefs des Bundeskanzleramts Wolfgang Schmidt sowie des Wirtschaftsstaatssekretärs Udo Philipp, die sich beide ebenfalls zu Wort meldeten und die strategische Bedeutung der Region hervorhoben.
Die fünf zentralasiatischen Länder bilden zusammengenommen einen Markt mit rund 80 Millionen Menschen, auf einer Fläche, die elfmal größer ist als die Bundesrepublik. „Die Länder Zentralasiens verfügen somit über riesige Flächen und immense Rohstoffvorkommen, die für die Erzeugung grüner Energie, die Veredelung von dringend benötigten Rohstoffen und die Produktion von hochwertigen Nahrungsmitteln noch stärker nutzbar gemacht werden können. Genau in diesen Technologiefeldern hat die deutsche Wirtschaft viel anzubieten“, so Claas-Mühlhäuser. Während die deutsche Wirtschaft zudem unter einem massiven Fachkräftemangel leide, suchten die zentralasiatischen Staaten gerade nach Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für ihre geburtenstarken Jahrgänge. „Wir wollen hier mit besseren Deutschangeboten in den Ländern und Ausbildungsplätzen in Deutschland gemeinsame Lösungen suchen“, betonte die Ost-Ausschuss-Vorsitzende.
Angesichts des tiefgreifenden geopolitischen Wandels in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen und neuen Lieferkorridoren von China über Zentralasien und den Südkaukasus nach Südosteuropa, fordert der Ost-Ausschuss ein stärkeres europäisches Engagement in Zentralasien. „Wir brauchen diese Länder gerade jetzt wirtschaftlich und politisch als Partner, und sie brauchen uns“, sagt Claas-Mühlhäuser. So sei etwa Kasachstan in kürzester Zeit zum viertwichtigsten deutschen Rohöllieferanten aufgestiegen. Bei vielen Rohstoffen, die für die Energiewende in Europa dringend benötigt würden, könnte die Region eine herausragende Rolle übernehmen. Wichtig sei dazu, dass die Länder die regionale Zusammenarbeit vertieften und etwa in den Ausbau grenzüberschreitender Wertschöpfungs- und Logistikketten investierten, um ihre individuellen Stärken besser zu verbinden. Die EU müsse diese Entwicklung ihrerseits mit Handelsabkommen und strategischer Rahmensetzung entschlossener und vor allem schneller unterstützen und in den Ausbau des Mittleren Korridors über das Kaspische Meer Richtung Südosteuropa investieren. „Die EU hat mit dem Programm Global Gateway ein großes Versprechen abgegeben, das jetzt dringend umgesetzt werden muss. Logistik spielt eine große Rolle dabei,“ sagte die Ost-Ausschuss-Vorsitzende. Es sei für die EU wichtig, die Region auch länderübergreifend als Ganzes zu betrachten. Eine vertiefte regionale Zusammenarbeit sei von zentraler Bedeutung, und hier gebe es bereits sehr positive Bestrebungen der fünf Länder.
Im ersten Halbjahr 2023 handelte Deutschland mit den fünf zentralasiatischen Staaten Waren im Umfang von 5,5 Milliarden Euro, ein Zuwachs um 11,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Exporte und Importe halten sich insgesamt die Waage. Mit Abstand wichtigster Wirtschaftspartner war Kasachstan mit einem Handelsumfang von allein 4,4 Milliarden Euro, gefolgt von Usbekistan mit 550 Millionen Euro und Kirgisistan mit 380 Millionen Euro.
Andreas Metz
Leiter Public Affairs
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