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Chance Wiederaufbau

Service Desk Ukraine. Foto: Christian Kruppa
11.06.2025
Deutsche Wirtschaft gestaltet Zukunft in der Ukraine/ Ukraine-Konferenz des Ost-Ausschusses in Berlin

Am 11. Juni 2025 organisierte der Service Desk Ukraine des Ost-Ausschusses die Konferenz „Doing Business in Ukraine”, an der im Berliner Hotel de Rome über 100 Gäste aus internationalen Unternehmen, der deutschen Regierung und Wirtschaftsverbänden teilnahmen. Im Mittelpunkt standen die aktuelle Wirtschaftslage in der Ukraine, die Herausforderungen für Unternehmen sowie Vorschläge zur Verbesserung der Investitionsbedingungen und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung.

Zeitgleich mit der Veranstaltung wurde der vierte Report der Weltbank und der Vereinten Nationen zu Kriegsschäden und dem bestehenden Bedarf in der Ukraine (RDNA4) publiziert. Dieser enthält alarmierende Zahlen zu den Folgen des russischen Angriffskrieges: So wurden direkte Kriegsschäden in Höhe von 176 Milliarden Dollar verzeichnet, wobei die am stärksten betroffenen Sektoren der Wohnungsbau, der Verkehr, die Energieversorgung und die Industrie sind. Die wirtschaftlichen Folgeschäden durch den Krieg und die Zerstörungen belaufen sich laut dem Report bereits auf 589 Milliarden Dollar. Für den Wiederaufbau in den nächsten zehn Jahren seien 524 Milliarden Dollar erforderlich. Über 138 000 Quadratkilometer ukrainisches Territorium – eine Fläche so groß wie die Schweiz und Österreich zusammengerechnet - seien mit explosiven Kriegsresten verseucht.

Diese Zahlen verdeutlichen das enorme Ausmaß der Herausforderungen, aber auch die Marktchancen für internationale Unternehmen, zum Wiederaufbau der Ukraine beizutragen und langfristige Partnerschaften aufzubauen.

Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und der Ukraine erreichte im vergangenen Jahr 11,6 Milliarden Euro (8,5 Milliarden Euro deutsche Exporte in die Ukraine und 3,5 Milliarden Euro ukrainische Exporte nach Deutschland), ein Plus von über 18 Prozent gegenüber 2023. Dies unterstreicht die wachsenden wirtschaftlichen Chancen der bilateralen Zusammenarbeit. Trotz des anhaltenden Krieges sind viele internationale Unternehmen in der Ukraine aktiv und investieren in die Bereiche Infrastruktur, Landwirtschaft, Energie, Logistik, Gesundheitswesen und Rechtsdienstleistungen. Ihre Präsenz spiegelt ihr starkes Engagement für den Wiederaufbau des Landes und ihr Vertrauen in dessen langfristiges Potenzial wider.

Eröffnet wurde die Konferenz des Ost-Ausschusses durch Regionaldirektorin Alena Akulich, die alle anwesenden Unternehmen dazu ermutigte, jetzt entschlossen weitere Schritte nach vorne zu machen, um die Situation im Land insgesamt zu verbessern. Dr. Johannes von Karczewski, Sherpa von Christian Bruch (Siemens Energy AG) als erster Vorsitzender des internationalen Business Advisory Councils (BAC), stellte die Arbeit des BAC im zurückliegenden Jahr vor. Von einer Ideenskizze ausgehend habe sich der BAC, der vor allem aus Unternehmens- und Verbandsvertretern aus den G7-Staaten gebildet wird, sehr schnell etablieren können und Arbeitsgruppen eingerichtet, die inzwischen bereits zwei detaillierte Reports mit Vorschlägen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Ukraine erstellt haben. Der zweite Report werde auf der anstehenden Ukraine Recovery Conference (URC) am 9. Juli in Rom präsentiert. 

Der BAC setze sich insbesondere für bessere Ausschreibungsprozesse, die Verbesserung von Versicherungsangeboten, Anstrengungen zur Reintegration von Geflüchteten und Kriegsrückkehrern in die Wirtschaft sowie bessere und vereinheitlichte Informationen zu Reiseregeln in der Ukraine ein. Zu den konkreten Projekten, die die Arbeit für die Wirtschaft erleichtern sollen, gehört eine Kriegsrisikoversicherung, die Verbesserung der Hafeninfrastruktur, der Bau von Sozialwohnungen, ein standardisiertes Power Purchase Agreement im Energiesektor sowie eine Sammlung und Harmonisierung der Reiserichtlinien der verschiedenen Länder. Von Karczewski zog ein positives Fazit der einjährigen BAC-Arbeit und lobte insbesondere die Zusammenarbeit mit der internationalen Ukraine Donor Platform. Die Wirtschaft habe direkte Zugänge zu dem Gremium und werde gehört. Noch vor der URC in Rom, bei dem der stellvertretende Ost-Ausschuss Vorsitzende Christian Bruch die Leitung des BAC an den italienischen Industrieverband Confindustria übergeben wird, sei - gemeinsam mit dem Ost-Ausschuss - die Reise einer kleinen Gruppe der Unternehmensvertreter nach Kyjiw geplant.

Energie, Landwirtschaft und Minenräumung

In insgesamt drei Fachpanels sowie anschließend in Kleingruppen konnten sich die Unternehmensvertreter intensiv mit Experten zu den Themen Energie, Landwirtschaft und Minenräumung, Transport und Logistik sowie Bau, Finanzen und Rechtsrahmen austauschen.

Philipp von Michaelis (Global Clearance Solutions) berichtete beispielsweise, dass das lokale Team des Unternehmens inzwischen 50.000 Quadratmeter Land von Minen geräumt habe. Im April 2025 eröffnete das Unternehmen ein Servicezentrum in Kyjiw. Das Unternehmen baut eine dauerhafte Infrastruktur auf und setzt fortschrittliche Technologien ein. Zu den größten Herausforderungen zählen die hohen monatlichen Betriebskosten und die Notwendigkeit, eine voll funktionsfähige Managementstruktur vor Ort aufzubauen.

Die Bayer AG, die durch Senior Managerin Carolin Welzel, vertreten wurde, hat ihren Betrieb in der Ukraine während des gesamten Krieges aufrechterhalten, 60 Millionen US-Dollar in die landwirtschaftliche Produktion investiert und ihre Initiativen im Gesundheitswesen ausgeweitet. Mit über 700 Mitarbeitern in der Ukraine liefert Bayer weiterhin Saatgut und Medikamente. Das Unternehmen hat 33 Millionen Euro für humanitäre Hilfe gespendet. Eine große Herausforderung bleibe der fehlende Versicherungsschutz für die ukrainischen Anlageinvestitionen im Wert von insgesamt 260 Millionen Euro.

Die Firma ELTEC Green Energy, vertreten durch den Projektmanager Georgiy Vaydalach, investiert in Solarenergie und Batteriespeichersysteme. Das Unternehmen betonte, wie wichtig es sei, jetzt zu investieren, anstatt auf das Ende des Krieges zu warten. Der ukrainische Energiesektor biete einzigartige Chancen, insbesondere in den Bereichen Solar-, Wind- und Gaskolben-Energieerzeugung sowie Energiespeicherung.

Transport und Logistik

Die Ukraine zeigt sich weiter widerstandsfähig und entschlossen, ihre Logistikinfrastruktur zu modernisieren, so der Tenor im zweiten Panel des Tages. Die Eisenbahnen fahren mit voller Kapazität und auch der Seeverkehr erholt sich allmählich. Die HHLA International, vertreten durch den Geschäftsführer Philip Sweens, der gleichzeitig Ukraine-Sprecher des Ost-Ausschusses ist, setzt den Betrieb im Hafen von Odessa trotz der jüngsten Opfer und anhaltenden Bedrohungen fort. Das Unternehmen betonte die dringende Notwendigkeit, die Verkehrsinfrastruktur zu verbessern und Versicherungen für den Schiffsverkehr abzuschließen. Hellmann East Europe, vertreten durch den Direktor für Business Development Roland Schüller, ist in Kyjiw und Odessa tätig und liefert auch Güter in die Ostukraine. Das Unternehmen sieht sich mit Herausforderungen im Zusammenhang mit den Sanktionen sowie der Arbeit in aktiven Konfliktgebieten konfrontiert und betonte ebenfalls den Bedarf an zusätzlichem Versicherungsschutz. Stefan Peikert, Gründer von AHP International betonte, wie wichtig eine Vorbereitung auf die Freigabe internationaler Finanzmittel sei. Das Unternehmen baut aktiv Verbindungen zwischen ukrainischen und deutschen Unternehmen auf.

Nova Post befördert täglich 1,5 Millionen Pakete und zahlt als einer der größten Steuerzahler der Ukraine zuletzt pro Jahr über 200 Millionen Euro Steuern. Das Unternehmen expandiert in ganz Europa und ist mittlerweile in 17 Ländern tätig. Wie Regionalmanagerin Lidiia Savinova berichtete, verfügt Nova Post in Deutschland inzwischen über 15 Niederlassungen in 14 Städten sowie insgesamt über 7.700 Abhol- und Zustellstellen. Das Unternehmen bietet eine Zustellung am nächsten Tag innerhalb Deutschlands sowie eine garantierte Zustellung innerhalb von fünf Tagen in die Ukraine an. Zu den größten Herausforderungen zählen die beschädigte Infrastruktur und die komplexen Zollbestimmungen sowohl in der Ukraine als auch in der EU.

Bauwesen, Finanzen und Rechtsberatung

Auch Würth-Ukraine hat seit Beginn des Krieges den Betrieb aufrechterhalten, sein Geschäftsmodell angepasst und sich auf die Integration von Frauen in Produktionsfunktionen konzentriert. Das Unternehmen, das General Manager Andrii Kalenskyi vertrat, befasst sich sowohl mit strukturellen als auch mit kulturellen Hindernissen für die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt.

Die Raiffeisenbank Ukraine ist die größte internationale Bank in der Ukraine. Direktor Juri Raksha betonte, dass im Grunde „gestern” der beste Zeitpunkt für Investitionen gewesen sei. Die Konkurrenz schlafe nicht. Raksha hob die Bedeutung einer lokalen Präsenz und der Bereitschaft zum Risikomanagement hervor.

GOLAW, eine ukrainische Full-Service-Anwaltskanzlei, unterstützt internationale Mandanten insbesondere bei Infrastrukturprojekten in der Ukraine. Partner Sergiy Oberkovych stellt von Seiten der Kanzlei ein wachsendes Interesse ausländischer Investoren fest und betonte die Bedeutung lokaler Rechtskenntnisse und Beziehungen zu Behörden.

Im Rahmen der Ukraine-Konferenz wurden als zentrale Herausforderungen fehlende Versicherungslösungen für Großinvestitionen und Logistikoperationen, die bürokratische und zollrechtliche Komplexität sowohl in der Ukraine als auch in der EU, die Notwendigkeit einer permanenten Präsenz vor Ort und die weiterhin instabile Sicherheitslage identifiziert. Hinzu käme leider auch eine begrenzte Transparenz in bestimmten Sektoren, die die Zusammenarbeit und Investitionen behindere.

Zu den von den Unternehmen übermittelten Empfehlungen gehören die Entwicklung und Umsetzung umfassender Versicherungsmechanismen für Fracht und Investitionen und eine Vereinfachung der Verfahren für das öffentliche Beschaffungswesen und die Zollabfertigung. Es sollten nachhaltige Partnerschaften mit ukrainischen Unternehmen gefördert werden, die über große internationale Akteure hinausgehen. Wichtig sei zudem die Förderung der Teilhabe von Frauen an der Wirtschaft durch Ausbildung, Mentoring und strukturelle Reformen, die Priorisierung konkreter Projekte gegenüber der Entwicklung allgemeiner Empfehlungen und ein kontinuierlicher Dialog mit der ukrainischen Regierung und internationalen Gebern zur Koordinierung der Wiederaufbaubemühungen.

Die Veranstaltung hat deutlich gezeigt, dass Unternehmen nicht nur bereit sind, sich für den Wiederaufbau der Ukraine zu engagieren, sondern dies bereits aktiv tun. Die Ukraine ist nicht nur ein Fall von Nachkriegswiederaufbau, sondern ein europäisches Land, das seine Zukunft aktiv gestaltet. Unternehmen, die sich jetzt für den Eintritt in den ukrainischen Markt entscheiden und die Chancen in den verschiedenen Sektoren nutzen, dürften einen strategischen Vorteil erzielen. Trotz schwerwiegender Herausforderungen zeigen Unternehmen Widerstandsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Weitsicht. Ihre Erkenntnisse und Empfehlungen sollten in künftige politische Rahmenbedingungen zur Unterstützung des Wiederaufbaus und der Entwicklung der Ukraine einfließen.

Kateryna Kyslenko, Service Desk Ukraine und
Andreas Metz, Leiter Public Affairs
 

Kontakt

Kateryna Kyslenko
Leiterin Service Desk Ukraine
T. +49 30 206167-129
K.Kyslenko@oa-ev.de

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