Direkt zum Inhalt

Der Zukunft ganz nah

22.07.2016
Mit einer Wirtschaftskonferenz in der EXPO-Stadt Astana startet eine neue Kooperation des Ost-Ausschusses mit der Botschaft Kasachstans
 
Kasachstan ist mit großem Abstand der wichtigste Handelspartner Deutschlands in Zentralasien. Mit einer Konferenz zum Thema „Eurasische Wirtschaftsunion und die EU – Wege zur Annäherung“ begann am 15. Juli eine neue Kooperation des Ost-Ausschusses mit der kasachischen Botschaft. Schauplatz der Konferenz war Astana, die futuristische Hauptstadt des Landes und Austragungsort der EXPO 2017.
 
Aus Perspektive der meisten Europäer liegt Zentralasien immer noch an der Peripherie des Weltgeschehens, irgendwo hinter Russland und kurz vor China. Dabei war die Region beginnend mit dem dritten Jahrhundert vor Christus über 2000 Jahre lang Mittelpunkt des größten und wichtigsten Handelsweges der Erde: der Seidenstraße. Hier vermischten sich Ost und West, trafen chinesische und indische Einflüsse auf europäische und persische Kulturen und Religionen. Bis zur Gewinnung der Unabhängigkeit 1991 waren die Länder Zentralasiens als Hinterhof der Sowjetunion quasi von der Landkarte verschwunden. Kasachstan, immerhin das neuntgrößte Land der Erde, schickt sich an, dieses Bild nun zu korrigieren und an die Tradition der Seidenstraße als internationaler Drehscheibe anzuknüpfen.
 
Obwohl Kasachstan lange gemeinsame Grenzen mit Russland und China hat, ist die Europäische Union mit einem Handelsanteil von über 50 Prozent der wichtigste Wirtschaftspartner. Dabei verfügt Kasachstan als größter Binnenstaat der Erde über keinen eigenen Meerzugang, über den Güter exportiert werden könnten. Diese geographische Lage hat zum Konzept einer „multivektoralen“ Außenpolitik beigetragen, mit der der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew darauf bedacht ist, gleichberechtige Beziehungen zu allen Großmächten aufzubauen. 
 
Freiluftausstellung für moderne Architektur
 
Wer durch die Innenstadt der Hauptstadt Astana läuft, fühlt sich Asien sehr fern und der Zukunft ganz nah. So ungefähr könnten erste menschliche Großsiedlungen auf dem Mars oder einem anderen Planeten aussehen. Was noch fehlt, sind fliegende Untertassen, geeignete Straßenschluchten für sie wären bereits vorhanden. Einstweilen müssen Mietfahrräder ausreichen, im Zentrum entstehen entsprechende Ausleihstationen gerade an jeder zweiten Ecke.
 
Der rasche Ausbau der Stadt erfolgt auf Grundlage eines Masterplans des japanischen Architekten Kisho Kurokawa. Entlang zentraler Sichtachsen mit dem Aussichtsturm Bajterek in Form eines Baumes im Mittelpunkt, dessen vergoldete Glaskuppel das Ei des Wundervogels Samruk mit den Wünschen und Sehnsüchten der Menschheit symbolisieren soll, gruppieren sich Dutzende neugebaute Regierungspaläste, Ministerien, Bürotürme, Moscheen und einige der weltweit spektakulärsten Solitärbauten. Und jährlich kommen Dutzende neue Giganten hinzu, wie etwa das erst im Rohbau fertige Gelände der EXPO 2017, in dessen Zentrum gerade der kasachische Pavillon in Form einer riesigen Murmel entsteht. 
 
Besonders der britische Architekturstar Sir Norman Foster hat Astana seinen Stempel aufgedrückt: Das von ihm entworfene Einkaufszentrum Khan-Shatyr erinnert von außen an ein riesiges. gläsernes Nomadenzelt; die von Foster entworfene 80-Meter hohe gläserne „Pyramide des Friedens und der Eintracht“ soll die verschiedenen Religionen in der Welt symbolisieren und zusammenführen.
 
Berliner Eurasischer Klub im Foster-Auge
 
Dritter sehenswerter Foster-Bau ist die „Stiftung des Ersten Präsidenten von Kasachstan“. Dieses riesige, gläserne Auge ist der ideale Ort für einen Gedankenaustausch über Zukunftsprojekte und wurde entsprechend am 15. Juli 2016 Schauplatz der ersten, gemeinsam vom kasachischen Außenministerium und dem Ost-Ausschuss organisierten Konferenz des Berliner Eurasischen Klubs (BEK). Diese Dialogplattform war 2012 anlässlich eines Besuchs des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew ins Leben gerufen worden. Zu den Gründern gehörte der vor kurzem verstorbene langjährige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher. Seit 1. Juli 2016 ist der Ost-Ausschuss neuer deutscher Kooperationspartner des BEK. Gemeinsam mit der kasachischen Botschaft ist eine Serie von Wirtschaftskonferenzen in Planung, um die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kasachstan sowie der EU und der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) voranzubringen.
 
Kasachstan ist mit über 85 Prozent Anteil weiterhin mit großem Abstand wichtigster Handelspartner Deutschlands in Zentralasien und befindet sich unter den fünf wichtigsten Öllieferländern Deutschlands. Der bilaterale Handel ist jedoch angesichts fallender Rohstoffpreise und einer durch die Konjunkturabkühlung in Russland und China schwierigen Gesamtlage – und der dadurch forcierten starken Abwertung des kasachischen Tenge – von sechs Milliarden Euro 2014 auf nur noch vier Milliarden Euro 2015 zurückgegangen.
 
Als Alternative zum Rohstoffexport setzt Kasachstan jetzt vor allem auf seine Transitlage zwischen China und der EU. Um die Möglichkeiten, die sich daraus für Transport und Logistik ergeben, nutzen zu können, setzt sich das Land nachdrücklich für eine engere Zusammenarbeit zwischen EU und Eurasischer Union ein, um bestehende Handelshemmnisse zu überwinden. Mögliche „Wege zu einer Annäherung“ stellten die 30 Teilnehmer des Berliner Eurasischen Klubs denn auch in den Mittelpunkt ihrer Diskussionen. Aus Deutschland reiste dazu eine Delegation des Ost-Ausschusses an, die von Geschäftsführer Michael Harms geleitet wurde. Ebenfalls vertreten waren der Delegierte der Deutschen Wirtschaft für Zentralasien Jörg Hetsch und der Vorsitzende der ausländischen Investoren in Kasachstan Ulf Wokurka (Deutsche Bank). Die kasachische Seite wurde vom deutschstämmigen Ersten Vize-Minister für Investitionen und Entwicklung Albert Rau, dem kasachischen Botschafter in Berlin Bolat Nussupov und als Hausherr vom Direktor des „Instituts für Weltwirtschaft und Politik“ Sultan Akimbekow angeführt.
 
Kasachstan und Deutschland als Ankerländer für einen Wirtschaftsdialog
 
Aktuell stehen die politischen Spannungen und die Sanktionen zwischen Russland und der EU direkten Gesprächen zwischen der EU-Kommission in Brüssel und der Eurasischen Wirtschaftskommission in Moskau im Weg. Kasachstan und Deutschland sollten sich daher in den jeweiligen Organisationen als „Ankerländer“ nachdrücklich für einen Dialog einsetzen, betonte Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms. Gleichzeitig solle die Wirtschaft aber „nicht auf die Politik warten“, sagte Harms. Bereits jetzt könne ein pragmatischer Dialog über eine Vereinheitlichung von Zolltarifen, die Anpassung von technischen Regulierungen, den Abbau von Non-Tariff Barriers, Energiekooperationen, eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs, Beteiligungen an staatlichen Ausschreibungen oder die Sicherung intellektueller Eigentumsrechte beginnen. „Wir sollten gemeinsam festhalten, dass freierer Handel zu komparativen Vorteilen für alle führt und der Weg in den Isolationismus der falsche Weg ist“, erklärte Harms. Die kasachischen Partner bat der Ost-Ausschuss-Geschäftsführer um detaillierte Informationen, welche nationalen Regelungen bereits in den Verantwortungsbereich der Eurasischen Wirtschaftskommission übergegangen sind.
 
Johnny Kramer, Ständiger Vertreter der deutschen Botschaft in Astana, erklärte, dass die Mitgliedschaft Kasachstans in der EAWU einer intensiven Zusammenarbeit mit der EU nicht im Wege stehen dürfe. Im Gegenteil bräuchten die Nachbarländer Russlands und der EU lebendige Handelsbeziehungen mit beiden Seiten, wie auch untereinander. Deutschland setze sich deshalb für eine Verständigung darüber ein, wie mit verschiedenen Handelsregimen umgegangen werden könne. Da passte es ins Bild, das etwa zur gleichen Stunde auch Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Staatsbesuch im Nachbarland Kirgisistan für engere Beziehungen zwischen der EU und der EAWU plädierte. „Da haben wir noch ein Stück Arbeit vor uns, aber ich befürworte das im Grundsatz“, sagte Merkel laut Agenturberichten in Bischkek.
 
Warten auf Brüssel
 
In Kasachstan wird dies gerne gehört, aber die Ungeduld wächst. Vize-Minister Rau forderte die deutsche Politik und die deutsche Wirtschaft auf, ihr großes Gewicht in Europa erfolgreich einzusetzen. In Brüssel müsse endlich verstanden werden, dass die EAWU eine Tatsache sei und Kasachstan inzwischen seine nationalen Kompetenzen in Handelsfragen an die EAWU-Kommission in Moskau delegiert habe. Die Länder seien damit im Übrigen dem Vorbild des EU-Binnenmarkts gefolgt. „Selbständig können wir hier nichts mehr entscheiden. Deshalb muss ein Dialog zwischen EU und EAWU stattfinden.“ Zudem müsse auch die EU daran interessiert sein, dass das Transitpotenzial Kasachstans und der EAWU als Bindeglied zu China besser genutzt werde. Die gegenseitigen Sanktionen zwischen EU und Russland wirkten sich sehr negativ aus. Inzwischen sei Kasachstan gezwungen, seinen Transit nach Europa teilweise über den Südkaukasus zu organisieren.
Rau und Institutsleiter Akimbekow unterstrichen, dass es bei der EAWU nicht um eine „Reintegration der UDSSR“ gehe und dass Kasachstan weitere Integrationsschritte wie ein gemeinsames Parlament und eine gemeinsame Währung ablehne. Eine große Chancen seien hingegen Freihandelsabkommen der EAWU mit möglichst vielen Partnern. Das innerhalb von nur zwei Jahren zwischen der EAWU und Vietnam ausgehandeltes Abkommen könne dafür beispielhaft sein.
 
Ost-Ausschuss Geschäftsführer Harms und der für Zentralasien zuständige Regionaldirektor Eduard Kinsbruner nutzten das Treffen in Astana für eine Reihe bilateraler Termine mit kasachischen Politikern und Wirtschaftsvertretern. Unter anderem gab es Gespräche mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der EXPO-2017-Durchführungsgesellschaft, dem Geschäftsführer des nationalen Unternehmerverbandes Atameken, sowie dem Vizeminister für Agrarwirtschaft Ermek Koscherbayev und dem stellvertretenden Außenminister Roman Vassilenko.
 
Dieser kündigte für den Herbst 2016 eine große Konferenz in Brüssel an, mit der Kasachstan, das gegenwärtig den Vorsitz in der Eurasischen Wirtschaftsunion innehat, direkt für einen Dialog zwischen EU und EAWU werben möchte. Der Ost-Ausschuss bot hier seine Unterstützung an.
 
Passend dazu setzt auch der Berliner Eurasische Klub seine Gespräche in Brüssel fort. Zum Abschluss der Konferenz in Astana lud Botschafter Nussupow die Teilnehmer für Oktober in die EU-Hauptstadt ein. Dann sollen die Energiebeziehungen im Mittelpunkt stehen.
 
Andreas Metz
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Diese Seite teilen: