Direkt zum Inhalt

Chancen für die erste Million: Vom Aufstieg Kasachstans

15.10.2008

Vladimir Klimow sieht nicht wie ein Gewinner aus. Eine speckige Weste bedeckt seinen drallen Bauch, die Haare stehen nicht mehr ganz so dicht und seinen Gästen erzählt er, bei viel Wodka, gerne Geschichten, in denen meist er der Held ist: „Ich habe Bären Auge in Auge gegenüber gestanden und großen Tieren in Washington.“

Der 60-jährige ehemalige Geologe, der früher im Staatsauftrag rund um die Bergbaustadt Leninogorsk nach Gold, Kupfer und Zink suchte, ist heute einer der erfolgreichsten mittelständischen Geschäftsleute in Ostkasachstan. In Ridder, wie Leninogorsk heute wieder heißt, nennt Klimow eine Supermarkt-Kette sein eigen. Sein ganzer Stolz ist jedoch das nach ihm benannte Dorf Klimowka, ein paar Kilometer von Ridder entfernt, mitten im Wald. Bis zur russischen Grenze sind es nur 16 Kilometer, und Kasachstan widerspricht hier allen Klischees eines Steppenlandes. Rund um Klimowka erstreckt sich der Altai mit seinen 5.000 Meter hohen Bergen, mit Bergseen und Flüssen, den Mischwäldern, die im Herbst die Pracht eines Indian Summer haben.

Dass die Gegend selbst sich als Kapitalanlage lohnt, weiß Klimow schon lange. Deshalb hat er hier eine Oase geschaffen für die, die wie er vom Aufstieg Kasachstans profitiert haben. Ein Dutzend Holzhäuschen mit modernster Ausstattung, Seidenteppiche und Satelliten-WLAN inklusive, dazu zwei Luxus-Banjas und eine neu errichtete russisch-orthodoxe Kirche stehen direkt neben zwei Hubschrauberlandeplätzen. Der kasachische Präsident Nasarbajew höchstselbst pflegt hier seinen Urlaub zu verbringen und zu Pferd Bären oder Marale zu jagen.

Bei bernachtungspreisen von 1.000 Euro pro Tag ist die Zielgruppe für die „Recreation-Base“ mitten im Wald klar: Hier sollen sich die erholen, die ihren Reichtum zeigen können. Dass das nicht Ausländer, sondern die Kasachen selbst sind, wundert nur noch den, der das zentralasiatische Land noch nie besucht hat. Kasachstan gehört neben China oder Russland zu den Ländern, in denen die Zahl der Dollar-Millionäre pro Jahr am rasantesten zunimmt.

Den wirtschaftlichen Aufschwung hat das Land vorwiegend seinen Bodenschätzen zu verdanken, es gilt als eines der erdölreichsten Länder weltweit. Mit dem Ölfeld Kaschagan am Kaspischen Meer nennt Kasachstan das größte Erdölvorkommen, das in den letzten 30 Jahren entdeckt wurde, sein eigen. Seine Kapazität wird auf etwa 38 Milliarden Barrel Öl geschätzt – doch Kaschagan wird gerade erst erschlossen.

Darüber hinaus gibt es in Kasachstan Uran, Eisenerz, Kohle, Kupfer, Zink. Das Land will in den nächsten Jahren zum größten Uranproduzenten der Welt werden. Die Bergbau-Unternehmen KazakhMys und KazZinc, jeweils größter Kupfer- und Zinkproduzent Kasachstans, sind an den internationalen Börsen notiert. Der weltweit größte Stahlproduzent Mittal Steel hat bereits im Jahr 1995 das einzige kasachische Stahlwerk und die umliegenden Eisenerz- und Kohlebergwerke in Temirtau übernommen und produziert jährlich rund 3,5 Millionen Tonnen Stahl.

Lange wurde Kasachstan auf den internationalen Märkten kaum wahrgenommen. 1991 unabhängig geworden, litt es wie die meisten GUS-Länder nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion unter einer extremen Wirtschaftskrise. Millionen Einwohner, darunter viele Russen und fast eine Million ethnische Deutsche, verließen das Land, weil sie sich in Russland oder Europa bessere wirtschaftliche Perspektiven erhofften. Heute verzeichnet Kasachstan achstumsraten des Bruttoinlandsprodukts von zehn Prozent pro Jahr. Mitte der 90er Jahre betrug das Wachstum gerade einmal ein Prozent oder lag gar im negativen Bereich.

In derselben Zeit drängten viele internationale Investoren nach Kasachstan, auf die das Land zur damaligen Zeit angewiesen war, um überhaupt Zugang zu seinen Ressourcen zu bekommen. Doch von den internationalen Märkten nahezu unbemerkt, nahm Kasachstan in dieser Zeit auch eine Reihe von Reformen in Angriff, so die Reform des Finanz- und Bankensystems.

Grigorij Marchenko, heute Chef der kasachischen Halyk-Bank, der drittgrößten des Landes, und in den 90er Jahren Chef der kasachischen Zentralbank, steht wie kein anderer für die Reformen im Finanzsektor. Das kasachische Bankensystem wurde in den 90er Jahren konsequent saniert und konsolidiert. Von über 200 Banken existieren heute noch etwa 30. Viele haben jährliche Zuwachsraten von über 50 Prozent. Seit 1999 sind die Spareinlagen der Bevölkerung von 311 Millionen auf 11,5 Milliarden US-Dollar gestiegen.

Marchenko gibt zu, dass auch der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew, dabei eine erhebliche Rolle spielte. „Alle unsere Behörden, Polizei, Geheimdienste, Steuerbehörden, die Mehrheit der Regierung, waren gegen ein Spareinlagengarantiesystem und gegen das Bankengeheimnis. Der Präsident aber sagte, ‚entweder mitmachen, oder gehen’“. Ohne den Präsidenten sei die Reform unmöglich gewesen. In der aktuellen Finanzkrise zahlen auch die kasachischen Banken Lehrgeld, doch das Bankensystem selbst gilt noch immer stabiler als das in Russland oder den EU-Neulingen Polen oder Ungarn.

Kasachstan ist auch für die umliegenden Länder zu einem Magneten geworden. Jedes Jahr strömen Gastarbeiter aus Kirgistan, Usbekistan oder Tadschikistan auf den kasachischen Arbeitsmarkt, um vorwiegend im Baugewerbe oder im Einzelhandel zu arbeiten. Die Internationale Organisation für Migration (IOM)
geht von rund 150.000 illegalen Migranten aus.

Legal gekommen ist der Tadschike Sino Alisoda, heute 22 Jahre alt. Mit 19 hatte er seine erste Million verdient und wurde kürzlich als der „teuerste Gastarbeiter Kasachstans“ bezeichnet. Auf dem Weg aus Tadschikistan nach Moskau blieb er in Almaty, der Wirtschaftsmetropole im Süden Kasachstans, hängen, und arbeitete sich hier in nur vier Jahren zum Marketingchef von „Mega“, der größten Supermarktkette Zentralasiens empor. „Ich denke“, so der Tadschike, „unsere Generation hat einen äußerst nüchternen Blick auf die Welt. Wir sind keine Pioniere, die kostenlos für eine glänzende Zukunft arbeiten.“ Damit trifft er auch den Zeitgeist der Kasachen. Ein neues Selbstbewusstsein hat sich in Kasachstan breit gemacht und nirgendwo ist das so spüren wie in Astana, das in nur zehn Jahren von einer gewöhnlichen Steppen- zur neobarock-futuristischen, glänzenden Hauptstadt ausgebaut wurde.

Stararchitekt Sir Norman Foster hat hier seine Handschrift hinterlassen, aber auch deutsche Unternehmer. Frank Altkrüger hat mit seinem im brandenburgischen Altlandsberg angesiedelten Büro für Hochbau zwei Multiplex-Kinos in den größten Shopping-Malls der kasachischen Hauptstadt gebaut. Er sieht Kasachstan als Chance für sein Unternehmen. „Wir haben im vergangenen Jahr rund 60 Prozent unseres Umsatzes in Kasachstan verdient.“
Und auch andere Mittelständler sehen in Kasachstan enorme Chancen. Markus Viering vom Berliner Ingenieurbüro KVL ist begeistert von den Möglichkeiten, die sich in Kasachstan bieten: „Wir betreuen hier Bauvorhaben, die es weder in Deutschland noch in Europa gibt. Eine Raffinerie mit 40 Milliarden Dollar Volumen – da muss man auf der ganzen Welt suchen.“

Dass die Deutschen auch in Zukunft in Kasachstan viel zu tun bekommen werden, davon ist Frank Altkrüger überzeugt. Denn ein Problem sieht der deutsche Ingenieur schon heute. „In zehn, spätestens 15 Jahren wird die gesamte neue Bausubstanz in Astana sanierungsreif sein.“

Die Neubauten in der Hauptstadt seien mit mangelndem Know-how errichtet worden und das würde sich rächen. Altkrüger sieht aber gerade darin ein neues Betätigungsfeld. „Wenn es uns gelingt, die Bauherren von den notwendigen Sanierungen zu überzeugen, liegen hier noch jede Menge Aufgaben vor uns.“

Edda Schlager
n-ost-Korrespondentin, Almaty

Diese Seite teilen: